Die letzte Woche stand im Zeichen der Kilometer. Nachdem ich (Wunder was) festgestellt hatte, dass wenn man das Tempo etwas herausnimmt, man ungeahnt weit laufen kann, habe ich nun wieder Blut geleckt. Es sollte eigentlich klar sein, dass 20k auf Anschlag zu laufen nicht so viel Spaß bereitet und ganz leicht die Vorfreude auf die nächste Einheit nimmt. Und so kam ich irgendwann zu dem Schluss, lieber hart und kurz zu laufen. Das wiederum fand mein Kopf zwar klasse, aber mein Körper nicht, insbesondere das rechte Bein und der dazugehörige Sehnenansatz. Zeit mal wieder etwas zu verändern, Zeit einfach mal Kilometer zu sammeln und schauen was passiert. Motivation schöpfen.
Eigentlich sagt man ja Qualität geht vor Quantität. Aber momentan ist es einfach andersherum. Die vergangene Woche habe ich genutzt, um die letzten Sonnenstrahlen vor der Zeitumstellung zu fangen. Da es im Büro glücklicherweise auch alles wieder weniger stressig zugeht, konnte ich es mir sogar ein paar Mal herausnehmen, früher zu gehen. So geschehen letzten Dienstag, nachdem ich den Montag nach den 30k und dem Bikemarathon, zum Ruhetag auserkoren hatte. Dass mich der Hafer gleich wieder so sticht, hätte ich eigentlich nicht gedacht. Es ist der Wahnsinn wie schnell ich mittlerweile wieder regeneriert bin und wie wenig mir diese Umfangssteigerung tatsächlich ausmacht. Normalerweise sagt man ja, nicht mehr als 1o Prozent steigern. Vielleicht kommt der Hammerschlag ja noch, aber zur Zeit sehe ich da so gar keine Gefahr am Horizont.
Also der Dienstag: mal wieder alleine durch das Feld gerannt und fast nicht fähig mich zu bremsen. Mal wieder zu schnell, der Puls eigentlich zu hoch, aber das Gefühl des Fliegens war einfach zu übermächtig. Dazu ein grandioser Sonnenuntergang und als es dann auch noch leicht bergab ging, war sowieso schon alles zu spät. Manchmal überlege ich mir tatsächlich, mir langsame Läufer auszugucken und mich einfach dranzuhängen. Aber als ich merkte, dass das eine Pace von 7 war, hätte ich das wahrscheinlich nicht länger als 500 Meter ausgehalten. Und so kam es, dass ich diesen beiden Langsam-Läufern insgesamt vier Mal begegnete – sie kamen mir ständig immer wieder entgegen, während wir uns scheinbar parallel im Zickzack durch die Felder schoben. Beim ersten Mal registriert man nur, beim zweiten Mal wird genickt, beim dritten breit Gegrinst und beim vierten dann doch endlich mal gegrüßt. Der Unterschied von Bikern und Läufern ist meiner Meinung nach der, dass viele Biker zwar glücklicher darüber sind, Gleichgesinnte im Wald zu treffen, aber auch viel aggressiver reagieren, wenn man doch mal aneinander gerät. Ich freue mich über jeden Läufer und Biker den ich sehe, vor allem, wenn ich alleine unterwegs bin und mich scheinbar alleine durch die manchmal echt widrigen Umstände der Natur quäle. Viele Läufer sind aber wahrscheinlich einfach zu sehr mit Atmen beschäftigt – das würde zumindest erklären, warum ein einfaches „Hallo“ nicht drin ist.
Nunja, aus der geplanten Pace von 5:30 ist dann am Ende eine 5:11 geworden. Ich kam gerade an, als es richtig finster wurde. In der Dämmerung flogen die Fledermäuse so tief, dass ich fast kollidiert wäre. Am Feldrand hoppelten ein paar Kaninchen, die sich von mir aber nicht stören ließen. Ich überlege tatsächlich, mir eine Leuchte fürs Laufen anzuschaffen. Andererseits sind die Kälte und verfrühte Dunkelheit ein guter Grund für das Fitnessstudio, um Kraft und Stabilität zu verschärfen. Gleichzeitig heißt das natürlich auch rauf aufs Laufband, was ich mittlerweile als nicht mehr so prickelnd empfinde. Das war eine Zeit mal anders, aber das war bloß den Schmerzen geschuldet und dem damit verbundenen Gefühl, jederzeit unterbrechen zu können.
Dann tat sich plötzlich mal wieder was in unserer MTB-WhatsApp-Gruppe. Eine mehr oder wenige spontane Aktion – Christian äußerte den Wunsch mal die Stoppomat-Laufstrecke testen zu wollen. Gunnar schaffte es leider nicht, aber ich wollte da sowieso mal hoch. Keine halben Sachen mehr. Nur alleine hätte ich das wahrscheinlich nicht gemacht. 16.30h an der Hohemark, Donnerstag direkt nach der Arbeit. Noch im Büro umgezogen, in freudiger Erwartung wie wir uns schlagen würden, da vor allem Christian läuferisch nur seine eine Runde von 7km am Mainufer gewohnt ist. Es sah den ganzen Tag nach Regen aus, aber der Himmel öffnete sich nicht. Natürlich erst dann, als ich auf dem Weg war. Alles war grau und es tröpfelte munter vor sich hin. Trotzdem nichts was uns aufgehalten hätte.
Betont langsam liefen wir die Brücke hoch in den Wald. Zumindest glaubte ich das. In Wahrheit waren wir schon wieder mit 5:10 unterwegs. Diesmal schaffte ich es aber zu bremsen, denn mir war klar, dass die richtigen Anstiege noch kommen würden. Und diese kamen dann auch ca. 2,5km später mit dem ersten Trail. Alles war glitschig, nass und voller Wurzeln und Laub. Mein Puls knallte sofort hoch und meine Waden merkten das erste Mal, was Sache ist. Die erste kurze Schnell-Wanderung wurde eingeschoben. Nach 4km wurde mir die Ewigkeit der lästigen restlichen 6km bewusst. Beim zweiten fiesen Anstieg zog Christian langsam aber konsequent an mir vorbei. Ich konnte das nicht mehr im Laufschritt bewältigen. Zumal ich dieses Stück schon kannte – mit über 23% Steigung schon mit dem MTB ein echter Brocken. Vielleicht hätte ich es noch irgendwie geschafft, dann hätte man mich aber oben irgendwo im Laub beerdigen müssen. Krafteinteilung erschien mir da irgendwie sinnvoll.
Dem einzigen Menschen dem wir begegneten, war ein Walker, der laut applaudierte als er uns sah. Die Gespräche dünnten immer mehr aus, der Abstand zwischen uns wurde größer. Langsam aber sicher holte ich Christian wieder ein und lief wieder vorne. Als plötzlich der Sandplacken in Sichtweite kam, musste ich das durch einen kleinen Freudenschrei untermauern. Ab hier waren es ja nur noch knapp 3km und die kannte ich schon vom Biken nahezu blind. Das war der Punkt, an dem der Abstand zwischen uns so groß wurde, dass wir uns im Nebel verloren. Ich hatte mittlerweile meinen Takt gefunden und lief durch den dichten Nebel dem Feldberg entgegen. Die Luft war schwer und feucht, ich konnte keine 15 Meter mehr weit schauen. Weiter, weiter, weiter. Ein Perspektivenwechsel der Extraklasse. Plötzlich dem Boden so nah, kein rollendes Gefühl unter den Füßen. Dann endlich war ich tatsächlich oben. Dunkelgrau, stürmisch und regnerisch begrüßte mich der Feldberg. Man wäre vermutlich direkt gegen den Turm geknallt, ohne dass man ihn gesehen hätte. Ich entschied mich bis zum Stoppomat-Häusschen zu laufen, um mich dort unterzustellen. Dort angekommen zeigte mir Garmin für die 10km und 606HM exakt 1 Stunde und 44 Sekunden. Ich hatte mit 15 Minuten mehr gerechnet und war doch etwas überrascht. 7 Minuten später tauchte irgendwann Christian schlagartig vor mir auf. Mir war mittlerweile so kalt, dass meine Fingernägel blau wurden. Wind und Regen peitschten mir ins Gesicht.
Ärmel über die Hände gezogen und einfach nur runter. Diesmal die MTB-Stoppomat-Strecke. Es war so glitschig, dass ich beinahe einen Überschlag gemacht hätte. Auf dem glatten Weg zum Fuchstanz konnte ich wieder etwas schneller laufen, dafür musste ich unten wieder auf Christian warten. Zumindest wurde mir wieder etwas wärmer. 4 Kilometer vor der Hohemark, zerstreuten wir uns dann endgültig. Jeder hatte sein Tempo gefunden und ich spürte sehr deutlich: noch einmal Stehenbleiben und warten, das würden mir meine Oberschenkel nicht mehr verzeihen. Also ließ ich es laufen. Es war mittlerweile fast dunkel, Nebelschwaden zogen durch die Bäume und wurden nur manchmal vom schillernden Rot der Blätter durchbrochen. Teilweise waren das Kulissen wie aus einem Horrorfilm. Dann vermeldete Garmin mir bei auch noch „Akku schwach“. Ein Grund mehr mich zu beeilen.
Auf der Schotterpiste ca. 1 Kilometer vor den Autos stieg meine Uhr dann komplett aus. Ich hatte ca. 50 Minuten zum Runterlaufen gebraucht und war mehr als froh in mein Auto zu steigen, denn meine Beine zogen ganz schön. Ein paar Minuten später tauchte dann auch Christian wieder auf. Zumindest hysterisch lachen konnten wir beide noch 😀
Durch das ganze Gerenne, hat sich Garmin auch entschlossen, meine VO2max dramatisch zu verändern. Die ist jetzt nämlich bei 52. Etwas sehr optimistisch, wenn ihr mich fragt…
Ich dachte eigentlich, dass der Lauf noch ein böses Nachspiel hätte, aber am nächsten Tag spürte ich fast gar nichts mehr davon. Also ab auf die Bahn, natürlich wieder direkt nach der Arbeit. Lauf-ABC und ein Test in Bezug auf Puls und steigende Geschwindigkeit. So richtig erholt war ich noch nicht, das spürte ich leider noch. Spätestens als die Pace schneller als 4:30 wurde, bemerkte ich wieder die üblichen Wehwehchen an Hüfte und Sehnenansatz. Herzfrequenz natürlich sofort wieder bei an die 180, später auch darüber hinaus. Spätestens 200m bei 3:30 fing das Blockieren wieder an, sodass ich noch mehr Kraft aufwenden musste um das Tempo annähernd zu halten – und Atmen wurde auch zum Problem.
Das eigentliche „Problem“ ist aber eher die Tatsache, dass ich quasi dauerhaft mit einem Puls von 160-170 durch die Gegend renne, ohne dass mich das gefühlt sehr belasten würde und das auch bei den Longruns. Es gibt nur eine Stellschraube, an der es noch experimentell Sinn macht zu drehen: die Schilddrüsen-Hormone. Ich bin in einer leichten Überfunktion, die zwar ärztlich abgesegnet ist, einfach aus dem Grund, weil ich mich mit dieser Einstellung bisher wohl gefühlt hatte. Andererseits kann es sein, dass dieses leichte Zuviel an Hormonen dazu führt, dass ich bei Belastung einen höheren Puls habe. Also habe ich um 25mq reduziert, seit 4 Tagen. Ich spüre jetzt schon ein paar Auswirkungen. Ich schlafe tiefer und konnte gestern bei meinem Longrun die 170 nicht mehr überschreiten. Vielleicht ist es nur Zufall, aber vielleicht ist auch was dran. Ich beobachte das jetzt einfach weiter, genaueres kann man sowieso erst nach 4 Wochen sagen.
Gleichzeitig erinnerte mich dieses Experiment wieder daran, dass eben noch nicht alles okay ist – das spüre ich nur bei meinen moderaten bis langsamen Läufen nicht mehr wirklich. Kurz war ich leicht frustriert – so hätte ich nicht mal mehr langsam noch zwei Kilometer laufen können. Glücklicherweise beruhigte sich der Schmerz über Nacht wieder.
Am Samstag wurden endlich die Shimano XT montiert, denn am Sonntag sollte es zu einer größeren Tour in den Spessart gehen. Bericht folgt!
— Jamie
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