Irgendwann kommt man an den einen Punkt im Leben: man steckt ganz tief im Dreck. Der einzige Unterschied in diesem Fall..ich habe wirklich gerne im Dreck gesteckt.
Dass das Jahr 2016 anders werden würde, als meine letzten 2,5 Läuferjahre, habe ich ja irgendwie schon geahnt. Diese Andersartigkeit hat einfach alles gedreht und meine Ziele in andere Richtungen und Dimensionen gelenkt, wenn nicht sogar gedrängt. Runter vom Asphalt, rauf auf die Trails, ran an den Berg.
Ich hatte zwar schon vor ca. 2 Jahren mal mit dem Gedanken gespielt den Tough Mudder mitzulaufen, konnte aber letzten Endes wegen meinem ständigen Verletzungspech nicht starten.
Da OCR nicht etwa für „Ominöse Crazy Runner“ steht, sondern für Obstacle Course Racing, war es eigentlich nur eine Frage der Zeit bis ich mich bei einem Hindernislauf wiederfand. In diesem Fall war es ein Lauf der Rats Runners Serie. Einer der späteren Starttermine hätte es sein sollen, denn der Plan besagte, dass ich einen Start von Janosch übernahm, der aus Zeitgründen nicht die ganze Serie laufen konnte. Da aber noch der ein oder andere zusätzlich absprang, gab es für den ersten Termin ein Fahrgemeinschafts-Problem. Ich begegnete diesem, indem ich nicht nur meine Fahrdienste zur Verfügung stellte, sondern gleich den Lauf in Bühlertann übernahm.
Viel Zeit zum Nachdenken blieb da nicht, also machte ich mich weder verrückt noch wurde ich nervös. Es hatte für mich gleich einen anderen Charakter als jeden Wettkampf für den ich vor dem Jahr 2016 gelaufen war, denn da hatte ich einfach ernstere Absichten und deutlich weniger Spaß.
Das mit der Fahrgemeinschaft erledigte sich spätestens am Oberurseler Bahnhof wieder, als wir nochmal alle Beteiligten auf die Autos aufteilten und feststellten, dass es nicht zwingend notwendig war, dass ich fahren musste. Die schon morgens sehr warmen Temperaturen, machten es die ca. 130km nach Bühlertann auf der Mitte der Rückbank, doch mehr als kuschlig.
Das erste Warmup absolvierten wir direkt nach dem Parken des Autos, da wir Dank befürchtetem Parkplatzmangel querfeldein zum Ort des Geschehens laufen mussten. Wir hatten noch richtig viel Zeit zum Startnummern-Abholen, Bilder machen und faul in der Sonne sitzen. Ich meldete mich erst auf die 10km-Distanz um, entschied mich dann aber doch wieder dafür, mir die Option offen zu halten, nochmal 10km dranzuhängen. Also noch einmal Nummern tauschen lassen. Mir war nämlich vorher nicht klar, dass man im Zweifelsfall einfach nach 10km abbrechen konnte und dennoch gewertet wurde. Ich war mir einfach nicht sicher, wie meine Beine und ich an diesem Tag drauf sein würden, denn nur 48 Stunden vorher rannte ich noch 50km den Taunus rauf und runter. Die 7 Testkilometer zum Beine-locker-laufen davor fühlten sich zwar nicht ganz so verkehrt an, aber ich merkte, dass mein Körper einfach müde war.


Die Sonne brannte mittlerweile so richtig herunter – der Start war um 13:30h und es hatte gut und gerne 30 Grad, wenn man sich nicht gerade im Schatten befand. Wir warfen einen Blick in einen Container auf der Strecke (inklusive Kurztest der Wassertemperatur = relativ kalt), machten ein letztes Gruppenbild, liefen ein und sammelten uns zum Start mit den anderen Läufern in einer Art Käfig. Wie das halt immer so ist: Musik, Dramatik, Ansage, Countdown..und das Feld der 20km-Läufer schoss aus dem Käfig auf die Strecke.
Ich hatte keinen blassen Dunst was mich erwarten würde, ich lief einfach nur und merkte schon nach fünf Metern, dass meine Beine wieder weich waren und nachzugeben schienen. Same shit, different race. Alles beim Alten. Es ging sofort den ersten Anstieg auf einem unebenen Wiesenweg hinauf und ich merkte direkt zwei Dinge: ich bekam kaum Luft (Allergie) und meine Waden verdichteten sich zusehends. Und das schon auf dem ersten Kilometer. Dazu brannte die Sonne von oben, mein Puls war wahrscheinlich viel zu hoch und ich war in Erwartung auf das erste Hindernis. Es ging immer wieder steil kurz bergan und wieder bergab. Dieses Hin und Her fanden meine Beine nicht witzig. Ich hatte einfach keinen Stand, mir fehlte die Kraft meine eigenen Schritte abzufangen. Der Donnerstag hatte mich ausgelutscht und führte mir nun vor Augen, was eigentlich nicht ging. Mir gingen kurz noch Christophs Worte durch den Kopf: „Spaß haben und ankommen, egal wie“.

Dann kam der erste Bach und ich muss sagen, es ist schon irgendwie ein merkwürdiger Moment, indem man sich erstmalig im Leben entscheidet da jetzt einfach reinzuspringen, nass zu werden, auf der anderen Seite in Schlamm und Erde zu fassen, weil man es darf, weil es Teil des Plans ist. Ich sah den Untergrund nicht und wusste ebenso wenig wie tief es denn war. Ein paar Sekunden Schnappatmung später war ich hüfthoch im kalten Bachwasser verschwunden, aber sehr glücklich über diese Art der Abkühlung gewesen. Ich glitschte auf der anderen Seite wieder heraus, rannte weiter und konnte quasi zusehen, wie die Sonne das Wasser wieder verdampfte. Mein Mund war mehr als staubtrocken und der Untergrund war es teilweise auch. Und dann kam der erste Abhang, inklusive Seil. Ohne Seil wäre ich da nicht herunter gekommen, mit Seil hatte ich nur Angst davor, dass es mir aus den Fingern rutschte oder ich nicht mehr greifen konnte – denn ich hatte keine Handschuhe an. Dabei verlor ich Zeit. Unten angekommen rechnete ich schon die erste Wasserstation den Kilometern entgegen. Die Hitze und ich..wir werden niemals Freunde.
Es ging wieder hoch, auf einem erdigen Weg der zusätzlich noch mit einem Schlauch bewässert wurde, um das ganze schön rutschig zu gestalten und dabei noch den ein oder anderen Läufer zu duschen.

Über Trails ging es gefühlt ewig weiter, bis ein Lader das Ende des Weges blockierte. Mit Anlauf ging es darüber hinweg und wieder auf Feldwege – in der prallen Sonne. Ich holte wieder ein paar OCRler ein, die mir aber regelmäßig bei den Hindernissen wieder davonliefen. Mir fehlt einfach das Feeling und auch irgendwo der Mut mich mal quasi blind „fallen zu lassen“. Laufen kann ich – geradeaus und bergauf 😀

Bach Nummer zwei wurde überquert, aus welchem ich ohne Sheryls Hilfe fast nicht mehr herausgekommen wäre. Ich stand fast bis zur Brust im Wasser und bekam die Füße einfach nicht an den kleinen Hang, ohne dabei abzurutschen. Ich verkeilte einen Fuß an einem mini Baum und griff mit der linken Hand in Brenneseln. Spätestens dann war mir klar, warum sich die Gruppe vor mir gegenseitig an den Händen hinauf gezogen hatte. Kriechend schaffte ich es dann schließlich auch (irgendwann).
Manchmal ging es Ewigkeiten nur noch nach oben – viele fingen das Wandern an und meine Waden sagten eigentlich auch einfach nur „lasst uns sterben“. Zudem wollte ich nur noch etwas trinken, aber das musste noch bis Kilometer 6 warten. Über ein kleines, aber glitschiges Felsenmeer ging es weiter und wieder durch einen kleinen Bach, bis ich dann endlich auf einem Feldweg zwei Becher abgreifen konnte. Ab da war ich glücklicherweise mit jedem Schritt wieder mehr da.

Es folgte noch ein kleines Bachbett und ging dann auf die letzten Kilometer, die nun mehr und mehr mit künstlichen Hindernissen gespickt waren.

Kleine aufgeschüttete Hügel ging es auf und ab, ehe man über schräge Holzlatten auf ein Dach klettern musste. Meine Höhenangst meldete sich sofort wieder und ich wusste eigentlich gar nicht wie ich hinaufkommen sollte, ohne unterwegs zu einer Salzsäule zu erstarren. Aber es half ja alles nichts, also kletterte ich weiter – auch ohne zu wissen wie es weitergehen würde, wenn ich erstmal auf dem Dach stand. Das jedoch erübrigte sich schnell: man sprang (einfach) auf Strohballen wieder herunter. Wieder war es Sheryl die mich von irgendwoher anbrüllte und mich kurz vergessen ließ, ob ich nun dabei nochmal blöd umknicken würde oder nicht. Ironischerweise bin ich an diesem Tag ständig umgeknickt, jedoch nicht links, sondern zur Abwechslung nur ausschließlich rechts.
Direkt danach ging es durch einen Gang mit Schaum. Das vorige Schrecknis springt mir in Form von angestrengten Gesichtszügen mehr als deutlich aus dem Gesicht.

Über Wellen kleiner Matschhügel mit Pfützen und Gräben dazwischen, ging es zu einem Hangelhindernis, bei welchem ich direkt in die Schlammgrube eintauchte und zwar bis zum Hals. Um mich herum schwammen Stroh und (hoffentlich) ein paar Pferdeäpfel. Spätestens da hatte ich aber so richtig Spaß. Ich hatte das Gefühl, je mehr Dreck desto besser.


Dann nur noch rein in den Baucontainer voll mit kalter Brühe und auf der anderen Seite wieder irgendwie hinaus. Mit den Beinen konnte ich mich so gar nicht hochdrücken, es war einfach zu glatt, das ging nur mit den Armen.

Um es auch für Zuschauer und Fotografen nicht zu langweilig werden zu lassen, lässt man komplett nasse Läufer einfach ein paar Kriechhindernisse nehmen, um sie zu panieren wie ein Schnitzel. Ein kurzes Stück unter einem abgedeckten Bauzaun mit Sand hindurch.
Dann kam das nächste kurze Stück Wald und damit leider auch der zweite Hang, der noch ein Stück steiler war als der erste. Nach längerem Herumprobieren, entschied ich mich für eines der beiden (nassen) Seile und lief rückwärts hinab, vermied es nach unten zu schauen, während sich das Seil immer tiefer in meine Handflächen schnitt. Währendessen machte sich eine Traube von Leuten ebenfalls über mir am Seil zu schaffen, was mehr als nur Vibrationen verursachte. Und dann kam es wie es kommen musste, sie rutschten aufeinander und keiner konnte bremsen. Also musste ich mich irgendwie mehr beeilen, konnte kurz „zwischenparken“ und dann den Rest in Angriff nehmen. Und dann war das Seil zu Ende. Also ging es in der Hocke wie auf der Rodelbahn weiter – rutschen tat man von alleine, da brauchte man sich so gar nicht bemühen 😀
(Leider gibt es vom Hang keine Bilder..warum nur? :P)

Danach kamen dann zwei kleine Brücken, unter denen man hindurch musste. Nur ein kurzes Stück, dafür sehr eng. Ein Kerl hinter mir zierte sich und fing das jammern an, er wolle da nicht durch. Ich robbte mich lachend weiter durch den kühlen Schlamm.

Das nächste Wasserhindernis ließ nicht lange auf sich warten. Bevor es dazu kam, lief man eine Rampe hinauf und kletterte über ein paar gestapelte Baumstämme und auf einer steilen Rampe wieder hinab. Wieder ein Part an dem ich mich wirklich überwinden musste das zu laufen, weil ich eigentlich damit rechnete durch meine nassen Schuhe keinen Halt zu haben. Schön, wenn man dann doch eines besseren belehrt wird 😉

Nur um wieder meiner Höhenangst begegnen zu können, musste ein Lattenmast hinauf und auf der anderen Seite wieder herunter geklettert werden, dem ich allein schon wegen seiner Beschaffenheit nicht so recht vertrauen wollte. Augen auf..und durch – wie sooft an diesem Tag 😉 Das galt übrigens auch für das nachfolgende Gerüst, welches insgesamt zwei Mal hinauf und hinab geklettert werden musste – zwischendrin robbte man sich unter dem Gestänge hindurch.
Noch ein Container mit Wasser und einem Brett in der Mitte, welches einen zwingen sollte auf Tauchstation zu gehen. Als ich mich wieder herausziehen wollte, funktionierte das einfach nicht mehr, sodass mich jemand herauszog, sodass ich auf die Kante steigen konnte. Ansonsten stünde ich unter Umständen jetzt noch drin 😀
Da das mit den Containern kein Ende mehr nehmen wollte, stand natürlich auch noch direkt der nächste bereit. Das erste was ich darin sah, war eine Art Matte unter der es hindurch gehen sollte. Ich dachte erst man müsse tauchen, bis ich sah, dass alles mit Sägespäne gefüllt war. Ich halte fest: nass, bereits mit Sand paniert und mit Schlamm im Gesicht, robbte ich mich noch einmal mit vollem Körpereinsatz durch die Späne..aber seht selbst: Video

Danach ging es über mehrere große „Kabeltrommeln“ erneut zu einem längeren Kriechhindernis mit Sand worunter es schön schwül-warm war und meine Klaustrophobie so richtig provozierte. Ich hatte das Gefühl ich kam einfach nicht voran, aber richtete meinen Blick einfach nur ans Ende des „Tunnels“ und irgendwann war ich dann draußen und rannte auf einen Hang zu, der mit einer Plane verkleidet und munter mit Wasser befeuchtet wurde. Es sah so aus als wäre dieser Rutschvorgang kaum zu kontrollieren und genau so ein Gefühl war es auch, aber ich lachte immer noch 😀
Dann kam nur noch eine Holzwand mit ein paar Sprossen zum herüberklettern und dann das Ziel.
Ich entschied mich es bei den 10km zu belassen. Meine Beine würden es nicht überleben und den einen Hang wollte ich nur ungern wiederholen. Man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist habe ich gehört und das habe ich auch getan.
An diesem Tag wurde seitens unserer Truppe richtig abgeräumt: 1. und 2. Platz der beiden gestellten Teams, sowie drei Einzelplatzierungen!
Fazit: ich würde es wieder tun. Dann aber mit Beinen, die das Wort „regeneriert“ auch wirklich verdienen. Dann wäre es mit Sicherheit leichter gewesen 🙂

— Jamie
Wow. Spannend geschrieben. Und dazu alles noch so schön und eindrucksvoll bebildert. Schon auf den ersten Metern Probleme mit Allergie und Durst… Aber gemeistert und durchgehalten – Super!
Danke dir. Beim Schreiben habe ich ständig überlegt, wie das nun rüberkommt und ob ich es nicht hätte besser machen konnte. Daher freue ich mich sehr, dass auch so vielen gefällt, vor allem auf Facebook!
Super, dass du das durchgezogen hast – das sieht nach Spaß aus 🙂
Irgendwann will ich bei so was auch mal mit machen. Schon lustig, dass wir im Alltag versuchen immer „sauber“ zu bleiben, um uns dann bei solchen Läufen durch den Schlamm zu wühlen 😉
Ja klar, das was ich anpacke, das bringe ich auch zu Ende und so die Welt war das alles nicht, nur ich war halt nicht so fit.
Ja, Back to the roots! Zurück in den Matsch der Kindheit..fand ich damals immer toll 🙂