Alles fing mehr oder weniger harmlos an. So wie immer. Bei meinem letzten 50km Trainingslauf, von dem ich leider 30km alleine weiterlaufen musste, traf ich kurz vor dem Feldberg auf Veronika. Sie lief wohl schon etwas länger wie eine Verrückte immer wieder den Berg rauf und runter. Beiläufig erwähnte Sie den Keufelskopf Ultra (kurz: K-UT) und fragte, ob ich nächstes Wochenende dort auch mitlaufen würde. Ich verneinte und schrieb es wieder ab.
Rückblende: Dienstags im Büro. Manchmal hat man nicht ganz so viel zu tun, oder die Gedanken schweifen ab.. Plötzlich erwischte ich mich dabei, wie ich KUT googelte und mein Herz beim Überfliegen der Ausschreibung einen kurzen Hüpfer machte. Das muss doch Liebe sein!? Also wägte ich nochmal alles ab. Es gab Distanzen von 22, 46 und 86km. Und ich war mir so sicher, dass nur die 46km gelaufen wurden. Darauf folgte direkt die Konversation mit Veronika:
Ich verwarf jegliche Form von Vernünftigkeit. Ja, ich will! Es freute mich und gleichzeitig war ich beinahe ängstlich nervös. Sicherheitshalber lief ich nochmal 17km easy Trails mit Dominic, um dann komplett zu ruhen. Es zwickte sowieso immer wieder woanders: Schienbein, Oberschenkel, Sitzbein. Mist?
Um mich abzulenken legte ich schon mal alles was ich brauchte auf meinen Küchenboden, denn bisher kannte ich nur die ZUT Pflichtausrüstung, was aber viel interessanter war, war die Sache mit der Verpflegung. Da der verrückte Veranstalter Eric auf Autonomie setzt. Es gab 4 VPs und dort gab es nur Wasser und zwar deshalb, weil man nicht aus jedem Bach trinken kann. Es gab aber auch noch die Möglichkeit, vorher Flaschen in Kisten zu deponieren, die dann an die VPs gebracht wurden. Nahrungsschmuggel untersagt!
Ich entschied mich für drei zusammengeklappte Toastbrote mit Nutella und/oder Erdnussbutter, sowie 7 Fruchtquetsch-tüten. Alles andere scheine ich nicht zu vertragen und auf Experimente war ich einfach nicht aus.
In meine 4 Flaschen für die VPs füllte ich etwa 400ml Cola mit Maltodextrin und versah jede der Flasche mit irgendetwas bekloppten, damit ich mich bei jeder Etappe mit einem neuen Spruch für mein Mantra eindecken konnte.
So kam es dass ich versuchte einigermaßen vorzuschlafen, was nur bedingt etwas brachte. Um kurz nach 2 Uhr nachts hatte ich bereits einen Kaffee intus und lief in Laufdress wie ferngesteuert zu meinem Auto, während die ersten vom Feiern zurückkamen oder erst loszogen. Mit einem Grinsen im Gesicht stieg ich ein, sammelte Veronika ein und dann trafen wir uns bei Georg, zusammen mit Juliane (die fast noch gekniffen hätte) und Fabian.
„Guten Mooorgen!“ Wieder Gelächter. Ab ins Auto. Es war kalt, es war früh, es war mimimi. Ich saß da und sagte nur immer wieder: „Ich fasse es nicht“.
Um 4:30h erreichten wir Reichweiler. Mein Körper war völlig durcheinander, aber ich versuchte ihm zu sagen, alles ist wie immer, nur dass es noch dunkel ist. Wir saßen in einem warmen Raum und ich traf noch auf Katrin und Daniel von bevegt, die an diesem Tag die 46km laufen würden. Gedankenverloren löffelte ich mein Porridge und um kurz nach 5 Uhr kontrollierten wir unsere Rucksäcke – was sollte mit und was nicht. Julianes zusammengerührtes Etwas platzte in der Tüte plötzlich auf und dann hatten wir erstmal eine nette Sauerei, bis das Zeug in einer neuen Tüte steckte 😀 Stöcke ja oder nein. Ich nahm sie einfach mit. Und Freunde, das war sehr sehr klug!

Plötzlich war es kurz vor dem Start. Alle versammelten sich vor einer kleinen Bühne, auf der Eric nochmal kurz etwas zur Strecke sagte und dann wurde heruntergezählt und wir liefen los. Und ich dachte mir nur: Hurra, Klassenfahrt! Denn genau so sah es aus. Laufen ging nämlich noch nicht gleich, denn viele wanderten, hatten keine Eile. Es kam mir alles vor wie dieser dumme Spruch: das ist der erste Kilometer vom Rest meines Lebens. Denn genau so fühlte es sich an. Irreal.

Endlich kamen wir ins laufen, sehr locker, alles fühlte sich gut an. Veronika, Juliane und ich liefen zunächst noch gemeinsam, ehe ich irgendwann merkte, dass es anstrengender für mich war mich ständig zurückzuhalten, wobei das bei der Distanz eventuell auch klug gewesen wäre. Aber ich entschied mich und lief in meinem Tempo locker weiter. Mit einem 165er Puls sollte ich es schaffen können.
Wir liefen über eine Wiese, dann ein Stück Asphalt auf einen längeren ovalen Tunnel zu der nur schwach orange beleuchtet war. Irgendwie sah das episch aus, als würde man danach langsam in eine andere Welt eintreten. Noch im Tunnel heulten wir mit Wolfsgesang um die Wette und traten wieder heraus, Angesicht in Angesicht mit der Strecke.

Dann ging es auf die ersten Trails: eng verschlungene verwunsche Pfade und hohe schmale Bäume – hatte irgendwie etwas von Regenwaldcharakter. Alles erschien so weit und hoch und doch befanden wir uns auf Singletrails. Der erste Downhill ließ nicht lange auf sich warten und ich kam ihn nur unter Zuspruch runter. Mir bangte es, wie das noch werden sollte, wenn ich mich jetzt schon wieder so anstellte?

Über Brückchen die vom vortägigen Regen etwas schmierig waren, ging es immer tiefer auf die Trails. Ich merkte schon bald, so richtig rennen konnte man kaum. Dann kamen wir wieder kurz über einen Feldweg der immer mehr nach oben führte. Viele fingen da schon an zu wandern. Ich lief noch immer. Im Wald angekommen wurde er noch ein bisschen steiler, immer und immer mehr. Auf einmal fragte ich mich, wie ich hier taktisch vorgehen sollte. Ich entschied mich dafür, das Speed-Wandern immer da einzulegen, wenn ich das Gefühl hatte, dass die Belastung der Beine zu groß wird. Und damit war ich nicht alleine.
Mitten im Wald eine steile Treppe die direkt nach oben führte und dann ging es in Serpentinen wieder über Wurzeltrails hinab. Es keuchte und schnaufte schon jetzt neben mir. Die ersten Downhills kam ich noch nicht ganz so schnell herunter. Am Berg holte ich sie jedoch alle wieder ein und überholte sogar. Ich fühlte mich einfach nur super. Ich hatte Kraft, ich hatte absolut Bock, ich wollte laufen was geht. Alles.
Ca. alle 10km kam eine Kontrolle, bei der man nur kurz seine Startnummer durchrufen musste.

Ab Kilometer 15 dachte ich daran, langsam daran, mir so ein Fruchtmus zwischen die Zähne zu schieben, denn ich wollte es auf keinen Fall dazu kommen lassen, dass der Hunger mich plötzlich schwächt und überkommt. Ich wartete noch genau bis km 20, als ich aus dem Wald auf eine große Brücke zusteuerte.
Dann ging es weiter, da konnte man nochmal richtig laufen, bevor es wieder in den Wald ging. Die erste VP sollte bei 24km auftauchen. Also war es nicht mehr weit und ich flog nahezu dahin – über federnde Singletrails, ein Waldpanorama welches mich einfach nur glücklich stimmte, die Vögel, Sonne. Es stimmte einfach alles.

An der VP suchte ich mir meine Flasche und kippte die Cola mit einer Salztablette herunter. Trinkblasen-Check: alles noch ok. Lange hielt ich mich nicht auf, schickte einen kleinen Zwischenstand an Thomas und rannte weiter. Die Cola tat ihr Wunder, ich erlebte so einen Kick und befand mich immer mehr im Runnershigh. Dennoch blieb ich meinem Vorhaben immer treu, mir meine Beine nicht unnötig zu zerschießen. Plötzlich war ich lange Zeit richtig alleine auf der Strecke, niemand lief meine Pace. Die ganz schnellen waren vorne weg und ich war quasi in der Mitte, sah aber niemanden. Ich packte meinen mp3-Player aus und das motivierte zusätzlich. Ich kam in einen derartigen Flow, dass plötzlich auch die Downhills kein Problem mehr waren.
You feel good? No worry, you get over it!
Ein weiteres Schild, was mir kurz Magengrummeln verursachte. Wann würde ich diesen Punkt erreichen? Ich ignorierte diesen Gedanken und lief einfach so weiter wie ich mich fühlte: großartig!

Ich kurvte durch den Wald bis der Wechsel zwischen Singletrails, Gestrüpp, Geröll und heftigen Anstiegen immer kürzer wurde. Einen richtigen Rhythmus würde man so niemals finden können und auch der Kopf muss das mitmachen. Es war kaum absehbar, wie der Trail verlaufen würden und ich erlebte durchweg eine Überraschung nach der anderen. Dazu die Konzentration auf den teils anspruchsvollen Untergrund und das Absuchen der Bäume nach rot-weißen Bändern, um sich nicht zu verlaufen.

Ich freute mich auf die 30km Marke. Es erschien mir dann alles absehbarer – rein rechnerisch. Vorbei an Steinbrüchen, Pfade an Steilhängen, über holprige Wiesen mit Brenesseln wie sie im Buche stehen und auch durch Wälder die plötzlich so anders sind. Fakt: es war niemals langweilig. Man hatte so viel zu sehen, aufzupassen und auszubalancieren, dass man schon fast Zeit und Raum vergaß.

Verschlungene, sehr enge Trails mit verschlammten rotem Lehm (ducken, Baumstämme klettern, Äste ins Gesicht gepeitscht bekommen) ging es langsam immer höher bis zu einer Steilwand an der ein Seil baumelte. Da hoch? Ich hatte zu diesem Zeitpunkt zum Glück zwei Begleiter, denn mir war etwas komisch, da jetzt hoch zu müssen. Aber dann ging es doch besser als ich vermutete und ich versuchte mir oben angekommen erstmal den Lehm vom Schuh zu kratzen, der mir absolut den Grip nahm.

Danach ging es weiter über flache Wiesentrails, wieder ein Stück runter, dann ein Sprung über einen Schacht mitten im Boden..und weil es so schön war noch ein Seil! Und zwar nur halb so dick wie das vorige.

Darauf folgte noch einmal eine Kraxelei auf einen Hang welcher einem kleinen Felsenmeer glich. Nur dieses mal ohne Seil, einfach hoch und möglichst nicht herunterschauen. Zum Glück war es das mit solchen Arten von Anstiegen erst einmal wieder für etwas längere Zeit, ganz aus dem Gedächtnis streichen sollte man sie trotzdem nicht. Auf kurzen Feldpassagen oder den raren Waldautobahnen holte ich den ersten Toast heraus, denn irgendwie war meinem Magen nach etwas festem. Als ich die 30km Marke überschritt, merkte ich dass ich mit dem Tempo aufpassen musste, damit mir nicht schlecht wurde. So spazierte ich mit meinem Toast in der Hand ein Stück und lief dann wieder vorsichtig weiter. Wie sich herausstellte war das eine sehr gute Taktik.
Bei etwa 38,8 km und einer weiteren Kontrollstelle kam die zweite VP der ich schon etwas entgegenfieberte, da meine Energie etwas angeknackst war und ich mich wirklich auf die Cola freute.
Da fing ich schon an, ganz leicht verwirrt zu werden. Ich vergaß noch eine Salztablette zu nehmen, aber war so klug und packte die Stöcke aus, denn ich hatte seit Kilometer 25 Downhill bereits Knieschmerzen, die immer schlimmer wurden. Gutes Training ist es zusätzlich auch noch. Wieder kurz den Stand der Dinge abgesetzt, Trinkblase gefüllt und als ich schon gehen wollte, kam plötzlich Juliane um die Ecke!
Und dann lief ich schon mal los, denn mir wurde jedes Mal sehr schnell kalt. Über einen Wiesenpfad ging es wieder so halb in den Wald hinein, wieder durch Brennesseln, Feldränder..wie gesagt, es war ein sich ständig wechselnder Mix der bunten Fröhlichkeiten. Bei den Feldabschnitten wurde es dann doch langsam immer wärmer, aber im Wald durchaus noch zu kühl, also ließ ich die Armlinge noch dort wo sie hingehörten.
Trails entstehen, wenn wir sie gehen. (Noch so ein weises Schild)
Noch ein paar Bachüberquerungen, Matsch-Wildschwein-Partys, dicke Baumstämme, dichtes Unterholz und ein Fruchtmus für mich. Himbeere-Erdbeere-Joghurt war der ungeschlagene Favorit. Mango-Hafer-Joghurt war aber auch nicht schlecht. Die Cola pushte mich zwar auch, aber eben nicht so lange, maximal 10-15km, je nachdem wie lange man dafür aufgrund der Trails brauchte.
Dank der Stöcke beruhigte sich das Knie wieder etwas und ich empfand sie auch nicht mehr so als Fremdkörper. Dann traf ich noch auf zwei Jungs an welche ich mich für ca. eine halbe Stunde ranhängte, ein bisschen plaudern, Zerstreuung und so. Wir liefen gemeinsam einen steilen Anstieg hoch, der dem MTB-weiße Mauer Trail mehr als nur nahe kam und sich auch öfter wiederholte. Nur war meine Begleitung leider zu langsam für mich an diesem Tag, sodass ich am nächsten moderaten Berg wieder davon zog.

Ich musste grinsen als ich dieses Schild las. Aber es wurde noch um einiges besser. Über einen Wiesentrail ging es nach oben in einen mehr als verschlungenen kleinen Wald, alles schien sich nur noch zu kreuseln und irgendwann sah man dann ein Schild dieser Art:
Beware of the chair…
Und schon bald kam dann der Stuhl. Und das Bier. Flaschenöffner mitzubringen war erwünscht. Und das meinen die da ernst. Der erste hing schon im Stuhl. „Na, wie es aussieht hast du den Stuhl schon gefunden?“

Die erste Kiste von drei war bei meiner Ankunft schon getrunken. Ich zog einfach weiter. Es war verrückt! Als ich dann über irgendwelche Wiesen wieder an einen Waldrand kam, steckte wieder ein Schild im Boden:
46km – Nur noch ein Marathönchen!
In meinem Kopf fing es an zu rattern. Was bedeutete das. Nur noch. Marathon. Noch einer? Laufe ich gerade wirklich zwei Marathons? Hintereinander!? Wie geht das, was mache ich hier? Weiter. Einfach nur weiter laufen. Nicht mehr denken. Einen Schritt vor den anderen.

„Ab 50km rechnet man dann eigentlich nur noch runter“ – hat mir mal jemand unterwegs gesagt. Klang plausibel. Also fieberte ich den 50km entgegen. Einen wirklich kritischen Punkt hatte ich bisher noch nicht erreicht. Ein paar Gehpassagen waren drin, um wieder mit Energie aufzustocken oder mal im Gebüsch zu verschwinden. Es war zwar alles nicht mehr so locker leicht, man spürte den Körper langsam immer mehr und auch das Knie flüsterte leise mimimi.
50km – Umkehren wäre jetzt auch blöd!
Ja allerdings! Über Wiesen, Feldabschnitte und sonstiges gut laufbares ging es länger weiter. Ich schöpfte wieder Hoffnung, dass alles machbar sein würde und das vielleicht sogar in einer für mich guten Zeit. Dann dachte ich wieder an das Schild, welches besagte, dass man irgendwann über die gute Phase hinwegkommen würde.

Dann ging es wieder herab und in den Wald hinein, über nasse Steine, herumliegendes Gestrüpp durch einen kleinen Bach auf die andere Seite. Kurz Waldautobahn und dann hätte ich fast das Fähnchen übersehen, welches anzeigte, dass man nun doch bitte einen schmalen Pfad hinaufkraxeln sollte, der sich bis oben hin in sich wandte und etwas Wegrutsch-Potenzial hatte.
Es wurde schwieriger, schleichend. Der zweite Toast musste her und zwar schnell. Das überbrückte gut bis zur dritten VP bei km 56. Ich setzte mich kurz in Gras. Mittlerweile war ich noch verpeilter als ich es angenommen hätte. Dann erschien Juliane. In einer Umständlichkeit die ich nicht näher erläutern möchte, füllte ich meine Trinkblase nochmal auf, vergaß meine Flasche mit Cola zu suchen und machte irgendwie alles durcheinander und gleichzeitig – zumindest fühlte es sich so an.
Es tat so gut, dass mich immer wieder Leute fragten wie es mir gehe, dass ich ja noch so jung sei und sie Respekt vor mir hätten. Sowas ist in solchen Momenten noch besser als jede Cola dieser Welt.

Es musste weiter gehen. Es war 20 vor 3 und noch hätte das eine für mich passable Zeit versprechen können. Mein nächstes Etappenziel waren also die 60km. Juliane und ich liefen fast zeitgleich los, ich war noch ein wenig vorne, war mir aber sicher, dass sich das Blatt irgendwann wenden würde. Von Veronika leider weiter kein Lebenszeichen. Über Anhöhen ging es immer weiter, bis ich irgendwann wieder kurz auf eine Waldautobahn traf, die auch noch gut zu laufen war. Vielleicht doch alles halb so wild. Ganz tief in mir drin, fing leicht etwas an zu kippen. Aber alles schien noch möglich.
Dann liefen Juliane und ich noch ein paar Kilometer zusammen, das tat auch nochmal gut. Ich schaute auf meine Garmin und sagte: „62km, ich kann es nicht fassen und wir laufen immer noch!“ Zusammen ging es downhill wieder runter und da hatte ich dann auch wieder Spaß, weil die Beine noch hielten.
Nach ca. 65km zog dann Juliane an mir vorbei. Mir wurde langsam oder sicher anders. Ich fuhr das Tempo runter, ging ein Stück. Mein Puls fiel ab auf unter 100, das war komisch. Das Licht war grell und ich hatte wohl Kreislauf. Thema Kreislauf, noch ein netter Spruch:
Wer Kreislauf hat muss geradeaus laufen!
Ich fing an komische Sachen im Wald zu interpretieren. Baumstämme waren plötzlich Tiere, die Bänder an den Bäumen Läufer. Ich stapfte den nächsten Berg hinauf und merkte ich konnte einfach nicht mehr schneller. Alles zog sich wie Kaugummi. In mir keimte die Angst.. Ich kann doch nicht noch 20 Kilometer wandern? Irgendwann hört es auf.
Dennoch bekam ich es in diesem Moment mit der Angst zu tun, alles fühlte sich komisch an, mein Herz, mein Kopf. All das war nicht normal. Aber das was wir da machen ist es ja auch nicht. Fühlt man sich so wenn man sterben muss? Ich dachte kurz an Läufer, die einfach tot umfallen. Aber meistens tun sie es ja nur im Ziel. Also weiterlaufen, noch ein Fruchtding reindrücken, trinken.
Hat funktioniert, nur leider wurden die Abstände immer zwischen geht und geht-nicht kürzer. Als ich es schaffte wieder einen Ryhtmus herzustellen, war ich so in Trance, dass ich falsch abbog und mindestens einen Kilometer bergauf in die falsche Richtung lief. Als mir auffiel, dass ich die Bänder nicht mehr sah, drehte ich um und sah daraufhin ein Band an einem Baum, welches andeutete dass man sich doch bitte jetzt durch das Gebüsch da schlagen sollte. Stöcke waren hier total fehl am Platz. Ein Buschmesser hätte es eher gebracht. Dann verabschiedete sich Garmin bei km 66. Danke auch.
km 67 – Kontrolle
„Willst du hier schon dein Wasser auffüllen oder reicht das noch 4km?“ Ich hüpfte prüfend kurz auf und ab. Reicht noch, danke! Wie gerne hätte ich mich zu dem netten Mann in den Stuhl gesetzt. Weiterlaufen. Also müsste ja theoretisch bei km 71 eine VP auftauchen. Mir ging es leider immer schlechter. Einen moderaten Berg schaffte ich noch, danach klappte ich fast zusammen. 1,5km später kam mir ein normaler Läufer entgegen, der mir seinen Respekt zollte und mir versicherte es ginge jetzt nur noch ein Stück bergauf und dann sei bei km 72 die VP. Es hat nicht ganz gestimmt, aber vielleicht war es gut so, denn daran hielt ich mich fest. Ich wanderte die Berge hinauf, probierte mich immer wieder zum Laufen zu überreden. Kam immer wieder um eine Kurve und all das nahm kein Ende. Kurz bevor ich dachte es geht gar nichts mehr, holte ich den letzten Toast hervor, überlegte noch mich 10 Minuten auf den Boden zu legen, um mich wieder zu stabilisieren, aber lief dann langsam doch weiter – ich wäre wahrscheinlich nicht mehr aufgestanden.
Etwas Frust kam in mir auf, es war alles so schön gelaufen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und jetzt wollte ich nur noch zur VP und verlor immer mehr Zeit. Als ich aus dem Wald herauskam, eröffnete sich vor mir ein riesiges Wiesen-Panorama. Es war so wunderschön und gleichzeitig verdarb es mir so die Stimmung, da ich in keiner Richtung eine VP ausmachen konnte. Erst flache Wiese, dann wieder Anstieg rechts herum und dann links herum – noch mehr Anstieg. Ich lief quasi fast um die ganze Wiese herum. Es war abartig. Dann tauchte man wieder in den Wald ein und blieb da gefühlte Ewigkeiten auf Singletrails die einem das Leben schwer machten. Meine Knie sendeten Stiche an mein Hirn, meine Beine wurden weich, ich verlor irgendwie den Stand. Fluchend stand ich vor einem Hang, haute die Stöcke in die Erde und zog mich wie eine Irre daran hoch. Versuchte immer wieder zu rennen. Ging wieder. Die Überwindung war hart. So so hart.
Die Trails wurden immer schlimmer, meine Konzentration weniger, alles steiniger, nasser, rutschiger. Dann kam ich zu einem Bach, blieb dort mitten drin stehen und wusch mir die Arme ab. Ich hatte plötzlich so abstruse Gedanken mich da reinzulegen. Das Salz klebte überall auf meiner Haut, meine Lippen brannten, sogar von meinen Augen rieselte manchmal feines getrocknetes Salz.
Dann stieg ich wieder heraus und wurschtelte mich wieder ein paar Wurzeltrails nach unten und oben, sodass man ewig nicht ankam. Setzte mich dort dann auf den nassen Waldboden oben an der Straße wo die VP stand. Trank die letzte Cola auf Ex.
17:25h und 72km . Eigentlich noch alles cool. Nur mir ging es alles andere als cool. Ein paar Mitläufer von vor ein paar Stunden saßen plötzlich auch mit an der VP und redeten mir nochmal gut zu, sodass ich zumindest wieder aufstehen konnte und weiter lief.
Das was folgte, waren viel mehr als nur Limits die ich erreichte. Mental wie physisch. Ich konnte nicht mehr, mir drehte sich alles, selbst die Stöcke schienen mir kaum mehr zu helfen, hoch kam ich nur noch mit Atemnot und herunter wie eine Oma mit Rollator, weil mir die Beine wegbrachen. Die Trails hatten für die meisten Geschmäcker ihren Höhepunkt erreicht: schmale Pfade, abschüssige Pfade, steil nach oben und steil wieder nach unten. Dabei bitte kein Auge an Ästen ausstechen oder den Hang hinunterfallen. Ich rannte, ich kroch, ich wanderte. Einmal stand ich einfach nur da und fing an irgendwas zu brabbeln, was ich jetzt nicht mal mehr weiß was es genau war!
Meine Knie hatte ich mir komplett zerschossen und die Beine heben ging auch schon mal besser. Jeder dicke Baumstamm über den ich klettern musste war eine zweite, dritte und vierte Beerdigung. Ich wusste ja nicht mal mehr bei welchem Kilometer ich mich befand. Die Schilder kamen nur willkürlich und die Garmin war ja aus. Also schätzte ich..und das war fatal. Denn irgendwann kam ein Schild und darauf stand: 72,8km. Nicht lustig.
Ich kann nur eins sagen, ich habe fast noch 3h gebraucht, ehe ich ins Ziel kam. Ich hatte noch 3 Fruchttüten und die Cola intus und musste mich allein deshalb eigentlich beeilen.
Die schlimmsten Steigungen kamen nochmal zu Tage. Und dann kam der Steilhang und noch ein Seil. Ich wusste nicht ob ich lachen oder weinen sollte. Oder beides. Stöcke in die eine Hand, das Seil in der anderen. Irgendwie hoch. Oben gepumpt wie ein gefolterter Maikäfer. Stolperte weiter über die Trails, die mich langsam aber sicher so richtig fertig machten. Reichweiler war irgendwie in Sicht, aber irgendwie auch nicht. Ich lief ständig drum herum und wollte nur ankommen!
Wo Schmerzen sind ist auch noch Leben
Auf den Wegen standen Leute die abfragten, ob man die Seile auch geklettert sei. Äh, ja. Und wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo noch ein Seil daher! Und noch ein kurzer mega Anstieg. Vor lauter Wut hieb ich die Stöcke immer fester in das was da vor mir war und sagte immer wieder: Ich kann!
Jeder Berg hat sein Tempo
Und so ging es. Gefühlt Zentimeter für Zentimeter. Es war so ewig. Eine Minute grinste ich, eine Minute schimpfte ich – so ging das ziemlich lange. Und dann traf ich wieder auf ein paar die mir nochmal Mut machten und dann aber die Downhills nur so runterflogen, während bei mir absolut nichts mehr ging.

Dann kam so eine Art Felsenmeer, welches man heruntersteigen musste. Ich hatte solche Schmerzen und absolut die Kontrolle über jegliche Feinmotorik verloren..mehr will ich dazu auch nicht schreiben, außer dieses: Oma mit Rollator.
Auf einer Wiese mit Lagerfeuer und ein paar (betrunkenen?) Jugendlichen kam ich heraus, wovon einige wohl Streckenposten spielen sollten und es für klug hielten nach über 80km noch ein paar Baggersprüche auszupacken. Einer lief mit einer geöffneten Bierdose ein Stück neben mir her, welche ich dankend ablehnte. Dabei hatte er das Schild mit Kilometer 84,8 hochgehalten.

Irgendwann bog ich wieder auf eine Wiese ab, nur um einen kleinen See zu umrunden, nochmal durchs Gestrüpp irgendwo aufzusteigen. Dann wieder Wiese, Wiese, Wiese…laufen, gehen, laufen… Ganz furchtbar. Als ich dann das Schild Ziel 1500m sah, hätte ich fast geheult, weil es noch so lang erschien. Und leider war es das auch. Ich malte mir schon aus wie ich im Ziel einfach umfalle. Alle 100m kam ein neues Schild, welches die Distanz runterzählte. Wie lang 100 Meter sein können, das wurde mir schmerzlich bewusst. Noch mindestens fünf Mal umgeknickt bei dem Versuch zu rennen.
600m. Überquerung einer Straße, und das Hochlaufen einer Straße zur 500m Marke. Dann rechts herum. Ein Parkplatz den ich kannte. 400m. Georg! Den kenne ich doch auch. „Da rechts hoch!“ Ich lief genau bis zum Berg, als meine Beine ihren Dienst verweigerten und ich wieder wandern musste. Wegen 400m so rumpienzen..hätte ich niemald für möglich gehalten. Dann sah ich das Ziel und setzte tatsächlich nochmal zum Schlusspurt an, soweit das noch möglich war.
Völlig geschockt und neben mir trat ich unter dem Ziel hindurch, während ich die Medaille umgehängt bekam und einfach niemanden mehr richtig wahrnahm. Ich kroch die zwei Treppen zur Halle hinauf, setzte mich so wie ich war auf den Boden und brauchte erst einmal einen Moment, ehe ich realisierte was da die letzten 14h passiert war.
Und dann wollte ich plötzlich nur noch duschen. Dazu musste ich aber wieder runter ins Sportlerheim laufen, ca. 500m runter (aua) und 500m wieder hoch (hmpf). Alles egal. Ihr glaubt es vielleicht nicht, aber nach so einem Tag sind selbst lauwarme Duschen eine Wellnessoase. Wieder wie ein halbwegs normaler Mensch kam ich oben an und sah gerade Veronika auf das Ziel zusteuern. Ich kürzte über den Parkplatz ab, um mit ihr gemeinsam durchs Ziel zu laufen. Ihr war es leider noch schlechter als mir ergangen, sie konnte gar nicht mehr rennen Zudem wurde uns mitgeteilt, dass die Strecke nicht wie ausgeschrieben 86km hatte, sondern 88. Prost!
Aber so langsam kamen Hysterie, Euphorie und Runnershigh auch wieder bei allen durch, sodass wir kurz noch etwas aßen und uns dann auf den Heimweg machten. Um halb 1 konnte ich dann endlich in mein Bett fallen, was bedeutete, dass ich tatsächlich 24h wach gewesen bin, aber keine Sekunde davon bereut habe 😀
Nachmachen ausdrücklich erlaubt und empfohlen!
Nachtrag der genauen Ergebnisse:
123 | Jacqueline Obier-Sikora | 14:28:02 | 1990 | WHK W | GER | OCR Frankfurt | Platz 76 | Platz AK 4 | Platz W 6
Für einen Film vom Trail vom letzten Jahr hier klicken.
— Jamie
Liebe Jamie,
vielen Dank für den packenden und ehrlichen Bericht….meinen Respekt hast Du für diese Leistung ganz sicher. Gratulation und erhol Dich gut.
Auf dem Bild nach dem Zieleinlauf sieht man Dir die Strapazen gar nicht an, schaust gut aus 🙂
Salut
Freut mich, dass er dir gefallen hat! Das Schreiben hilft mir sehr alles zu ordnen und wieder mehr zur Ruhe zu kommen. Vielen Dank für deine Worte. Ja das stimmt, auf dem Bild sehe ich noch erschreckend normal aus, stand aber eigentlich total neben mir. Heute geht es mir schon wieder sehr viel besser und ich habe wieder am Leben teil 🙂
Vielen Dank fürs Mitnehmen und meinen tiefen Respekt. Dass Du „a special kind of idiot“ bist, weißt Du ja. 😉
Hammer Leistung! Was macht eigentlich Dein Fuß?
Sehr gerne! Und vielen lieben Dank. Ich hätte nicht erwartet, dass ich es so weit schaffen würde… Und auch nicht, dass mein Fuß das durchhält. Ich hatte gar keine Schmerzen während dem Lauf, erst im Auto für ca. 1-2 Stunden etwas, aber das ist schon wieder Geschichte 🙂
Einfach Klasse, deine Leistung und dein Bericht. Gratuliere und Respekt, das war schon ein Ding, wow!
Danke dir 🙂 So richtig realisieren kann ich es zwar noch immer nicht, aber es eröffnet den Horizont für noch viel mehr. Ich fühle mich unglaublich gut und bin sehr dankbar, dass mein Körper so einen Lauf mitmacht. Ich glaube, dass es nicht der letzte war!
Hey Jamie, vielen Dank fürr diesen tollen Bericht. War wirklich spannend das „miterleben“ zu dürfen.
Echt eine mega Leistung die du da abgeliefert hast und echt der wahnsinn wie das bei dir in letzter Zeit alles schnell voranschreitet.
Ich wünsch dir viel Glück, dass es weiterhin so gut läuft. Deinem Fußgelenk scheint es ja auch wieder besser zu gehen!
lg Andi
Hi Andi, freut mich, dass ich dich auf den Lauf quasi mitnehmen konnte – ich hatte (und habe) so ein Gedankenwirrwarr in meinem Kopf, dass ich nicht genau wusste, ob die Leserschaft da überhaupt mitkommt 😀 Ich bin immer noch total platt, vor allem mental, weil es noch immer nicht in meinen Kopf hineingeht, denn ich bin mit dem Gedanken gelaufen, dass ich es nicht zu Ende bringen werde..das alles muss sich nun erstmal setzen.
Viele Grüße!
Verrückt. DU bist verrückt! Und zwar sehr positiv!
Endlich mal einer der das erkannt hat 😀 😀 Ich nehme das jetzt mal als Kompliment!
Hallo Jamie,
es freut mich sehr, daß Du nach alle Deine Qualen das Ziel erreicht hast. „All you have to do is not quit“ Respektvolle Leistung! Und danke für Dein Bericht. Ich habe es auf unsere Webseite von SV Reichweiler verlinkt.
Eric Tuerlings – Orga KUT
Hallo Eric, danke dir für das Verlinken, freut mich! Der Spruch ist ziemlich simpel, aber einfach nur wahr, ich habe während dem Lauf ab dem Schild oft daran gedacht und es hat wohl geholfen 😉
LG, Jamie
Hi Jamie,
einfach ein liebenswerter Bericht über eine ebensolche Veranstaltung. Da bekommt man sofort Lust beim nächsten Mal dabei zu sein.
Respekt vor deiner Spontanität und deinem Durchhaltewillen. Bin gespannt was da noch alles folgt…
Beste Grüße
Sebastian
Hi Sebastian,
danke dir für den Kommentar. Es freut mich wirklich, wenn mein Geschreibsel für den ein oder anderen lesenswert ist 🙂
Ich bin auch gespannt was noch alles kommt und wohin die Entwicklung geht, denn 2016 ist noch jung und ich hätte mir so vieles in diesem Jahr noch nicht einmal träumen lassen!
LG,
Jamie