9. Keufelskopf Ultra (K-UT) 3.6.2017

Als ich letztes Jahr über die restlichen 5 Kilometer stolperte, hatte ich nur noch einen Gedanken im Kopf: „Das machst du nie wieder!“

Wie man nun unschwer erkennen kann, bin ich das Abenteuer K-UT noch einmal angetreten. So schlimm konnte es also nicht gewesen sein. Vor allem, weil er mein erster Ultra überhaupt war und ich Strecke und all die Verrückten Leute so sehr mag.

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Diesmal gestalteten wir die Anfahrt etwas anders: Marisa kam schon abends zu mir (sie würde den Short Trail über 22km laufen), wir schliefen bis etwa 1 Uhr vor und sammelten dann mit meinem Auto Georg in Frankfurt ein, während wir dem Sonnenaufgang entgegen in die Pfalz brausten. Hört sich romantisch an, aber eigentlich war es nur unsere manische Lache und Marisas Nervösität, die mein Auto anzutreiben schien. Vor allem Georgs Race-Bericht, der unter anderem besagte, dass er sich „massiv auf einen Felsen setzen musste“ gab den Oberknaller. Dieser unbedachte Wortwitz ist so blöd, dass es er durch nichts mehr an diesem Tag getoppt werden konnte 😀

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Die große Frage, ob wir das Auto auf den unteren oder oberen Parkplatz stellten? Wir entschieden uns für den unteren. Dann konnte man nämlich schon mal mit Sack und Pack die 500m zum Vereinsheim steil hoch marschieren, quasi zum Warmwerden. Etwa um 4:30h bekamen wir unsere Startnummern, während Georg zu seinem 200 Meilen Sieg beglückwünscht und gleichzeitig für verrückt erklärt wurde, 6 Tage später nochmal eben so 88km unter den maladen Fuß zu nehmen.

Ich versuchte irgendwie noch das Porridge in mich hineinzudrücken, was natürlich wieder nicht ganz gelang. Irgendwie war es mir auch egal. Startnummer an die Hose genestelt, die 4 Flaschen mit den Iskiaten auf die Dropboxen verteilt, auf –Davut-, Sabrina & –Fabian– gestoßen und so die letzten Minuten vor dem Start verbracht.

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(c) Laufticker.de

Während Eric seine kurze Ansprache hielt und herauskam, dass man den Perso doch bei sich tragen musste, sprinteten Davut und einige andere doch nochmal schnell ans Auto. Eric musterte uns alle mit einem leicht amüsierten Blick: entgegen seiner dreifachen Empfehlung, mit langen Hosen zu laufen (Zecken und wildes Gestrüpp), waren die meisten in kurz erschienen. Ich hatte mit Autan gegen Mücken und Zecken vorgesorgt und wiegte mich in Sicherheit… Zudem seien die Hänge durch den nächtlichen Regen überhaupt nicht ohne Seil zu meistern gewesen – da musste ich kurz schlucken.

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..und nein, ich schlafe nicht mehr! 😀

Ca. 2min vor dem Start, erschien dann auch plötzlich Georg wieder und genau 50sec blieben mir um noch schnell seine Startnummer an den Rucksack zu friemeln, ohne mich dabei selbst zu piercen. Check!

Es geht mal wieder los..

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(c) Laufticker.de

Wir spurteten nach vorne, Marisa knippste ein letztes Bild und zack, schon ging es los. So entspannt wie letztes Jahr erlebte ich diesen Start nicht mehr, denn es ging zügig weiter, zunächst noch ziemlich flach über die Wiesen und durch meinen lieblings-epic-Tunnel, bis hin zum Wald auf enge Trails, rauf und runter, ich blieb einfach dran.

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(c) Laufticker.de
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(c) Heinz Sven Ritschard

Doch ich spürte schon im Wald eine drückende Schwüle und sehr viele hoch wuchernde Gräser. Wir schwitzten wie verrückt und ehe ich es mir versah, waren 1,5 Liter ausgetrunken und auch die 500ml Softflask war schon am Schwinden, als wir nach 22km und knapp 2:30h die erste VP erreichten. Sabrina und Fabian empfingen uns, denn sie würden gleich auf dem Short Trail starten. Ich bekam rückgemeldet, schon jetzt ziemlich fertig auszusehen. Leider war das auch so. Die Allergie setzte mir sehr zu und ich war mir sicher dieses Tempo nicht mehr lange so gehen zu können. Als ich an mir herunterblickte, waren meine Beine voller juckender Pusteln und Blasen. 5 Salztabletten rein, Wasser aufgefüllt, weiter!

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(c) Heinz Sven Ritschard

Wir rannten weiter, wieder über Wiesen und in den Wald hinein. Waldautobahnen waren hier Mangelware, es ging immer wieder über schmale sich kringelnde Pfade, bei denen man besser einen Fuß direkt vor den anderen setzt und gleichzeitig versucht, nicht an einer Wurzel hängen zu bleiben oder über lose Steine zu fliegen. Ab und zu muss man auch mal den Kopf einziehen – Baumstämme diagonal über den Weg waren keine Seltenheit und die Äste peitschten auch gerne mal ins Gesicht.

Es hat mich verlassen!

Meine Atmung wurde immer enger, sodass ich mein Spray heraus friemelte. Beim zweiten Sprühstoß merkte ich: das Ding war leer!? Das konnte eigentlich nicht sein, denn es war erst eine Woche alt. Verzweiflung und leichte Angst überkam mich. Wie sollte ich noch etwa 65km unter diesen Bedingungen laufen? Je tiefer der Wald, desto mehr mannshohe Gräser, mit Brennesseln und allem was der Wald hergab – für mich mal wieder die grüne Hölle!

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Nach 30km musste ich das Tempo drosseln, den Schnitt von 6:37 würde ich auf keinen Fall mehr halten können und ab da beerdigte ich tief in mir drin alle Zielzeiten die eigentlich gesetzt waren und lief auf Ankommen. Und selbst Ankommen war fraglich. Ich wusste nicht was passieren würde, wenn mein Körper noch sehr viele Stunden all dem ausgesetzt war. Georg konnte mich beruhigen – es war wirklich gut nicht alleine laufen zu müssen. Zudem hatte ich mental sehr viel zu verarbeiten, was die letzten Wochen betrifft, all das sind keine guten Voraussetzungen für einen klaren, fokussierten Kopf bei einem Ultra.

Es war Zeit für meine Playlist, Georg wurde gemutet, Musik an! Dann lief es wieder. Ich versuchte zu entspannen. Downhills machten Spaß und ich sprang und hüpfte sie herunter.

Es war einmal..

Der K-UT fängt immer harmlos an, man denkt man kann es gut schaffen, aber mit der Zeit wird es einfach immer heftiger. Als die ersten Short Trailer an uns vorbeikamen, die natürlich alle mehr als frische Beine hatten, mussten wir erstmal einige überholen lassen. Durch mein Luftproblem musste ich immer wieder wandern und das zermürbte mich. Ich versuchte noch einen Hauch von Nichts aus dem Inhalator zu quetschen – erfolglos. Dann trafen wir auf Marisa – es war schön sie nochmal zu sehen 🙂

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(c) Heinz Sven Ritschard

Nun ging es erst ans Eingemachte, die ersten Steilhänge mit und ohne Seile folgten. Letztes Jahr hatte ich noch ziemliche Ängste gehabt, aber diesmal war es nicht mehr so das Problem und wir waren recht bald oben. Weiter ging es auf einem schmalen Pfad (der natürlich wieder zugewuchert war) und recht bald zu den nächsten Hängen. Der eine barg viele Steine an denen man sich festhalten konnte, sodass anscheinend kein Seil notwendig war. Hier trafen wir nun auch auf Sabrina und Fabian, welcher sich mal wieder einen dummen Kletterkunst-Spruch nicht verkneifen konnte 😉

Ich habe die meisten Trails nur noch als Allergie-Safari in Erinnerung. Ständig wurde ich von irgendetwas gestreift, einschließlich von irgendetwas mit Widerhaken, welches mir meine Fessel gemein anritzte. All das war mir eigentlich egal. Nicht egal war mir, dass ich auf Strecken die man hätte gut laufen können, einfach nicht mehr laufen konnte. Der Frust machte sich wieder breit und die Angst, ewig auf den Trails verbringen zu müssen.

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Davut hatte uns schon ein- und überholt (c) Laufticker.de
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VP 2 bei 38,8km (c) Laufticker.de

Mir traten wirklich schon so früh Tränen in die Augen, als ich erklärte, dass ich nicht wüsste, wie ich das schaffen sollte. Die Natur war zweifelsohne einfach nur unendlich schön, aber in diesem Moment war sie für mich einfach nur noch gemein und hässlich. Mit einer Clifbar und sehr viel Wasser, ging es noch relativ heiter zur zweiten VP bei km 38, wo natürlich wieder alles aufgefüllt werden musste – der gegenwärtige Wasserverbrauch, sowie der Salzverbrauch, waren einfach unheimlich! Ich kippte mir die Iskiate hinein, was irgendwie sehr erfrischend war und dann ging es auch schon weiter. Schon etwas steif, angeschlagen.

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Manche Feld- und Wiesenpfade glühten regelrecht von unten, während rechts die Grillen zirpten. Georgs Aussage: „Ich laufe höchstens 20km und wandere dann den Rest“, stimmte natürlich mal wieder nicht. Diesmal hatte ich keine Stöcke dabei, er jedoch schon und es ist mir bis heute ein Rätsel wie man mit so großen Schmerzen noch so viele Stunden über teilweise schwieriges Gelände laufen kann. Ich dagegen kam mir immer mehr vor wie ein Lappen. Ich hatte keine Schmerzen, meine Beine waren auch gut zu mir, dafür bekam ich keine Luft und Kreislauf, weil ich das mit dem Essen mal wieder nicht auf die Reihe bekam. Ich spürte keinen Hunger, zwang ich mich dazu, wurde mir schlecht. Zum Glück hatte mir Georg zuvor seine Calcium in Form von Wunderdrops gegeben und das half sehr gut!

Verrückt ist das neue Normal

Bis mein Kreislauf jedoch wieder auf der Höhe war, dauerte es jedes Mal eine längere Zeit, in der ich nicht rennen konnte. Dann kam ich wieder ins Laufen, es kamen wieder Rampen und anderes fieses Zeug, wir verliefen uns, hoch runter.. Und wieder waren die Bronchien verengt. Also sank ich auf den Boden und versuchte mich zu entspannen. Irgendwie. Nur nicht verrückt werden. Warum machst du das hier? Willst du das? Ja!

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Bald kam auch mal wieder ein Hoch und an diesen Hochs hielt ich mich fest. Ich wusste dass ich mich von 11-12h verabschieden konnte, also ging es um die Medaille, darum, dass das Finisher Shirt auch ein wirkliches Finisher Shirt blieb und auch darum, herauszufinden, ob nicht doch alles besser werden würde.

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(c) Heinz Sven Ritschard

Nach der Marathonmarke, fiel es mir schon deutlich leichter das Ziel zu visualisieren. Ich muss zugeben, ich habe das mit dem Visualisieren vor einem halben Jahr noch besser draufgehabt. Aber okay, andere persönliche Umstände eben, man verzweifelt schneller und denkt man zeigt nicht genug Stärke.

Beware of the chair!

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Ab Kilometer 44 kam dann der berühmte Stuhl auf den ich mich natürlich setzte. Georg hatte keinen Bieröffner dabei, aber mit der Kante der Bierkiste wusste er sich ebenfalls zu helfen. So wurden zwei Oettinger geext (und nein, sicher nicht alkoholfrei), sowie ein bemitleidenswertes Bounty ausgepackt, welches aussah wie ein Hundehäufchen. Da hatte ich dann allein durchs Zugucken wieder gute Laune. Während wir weiter rannten und hüpften, hörte ich nur von hinten: „Huiii sind die Trails aber kurvig!“

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Spätestens auf freiem Feld, fing er dann auch noch an zu singen. Von Britney Spears über das rote Pferd war fast alles dabei. Mein absolutes Highlight war ja „Ich hab ne Zwiebel auf dem Kopf ich bin ein Döner“. Danke für diesen Ohrwurm, das ist nun das was ich mit dem K-UT verbinde, Herr Kunzfeld!

„Nur noch ein Marathönchen“

Okay, 42km gehen immer. Irgendwie. Aber heute? Ich versuchte wieder in Etappen zu denken. „Wenn nichts mehr geht, 50km gehen immer“ – das kann man natürlich auch noch ziemlich hart feiern. Als der Alkohol dann so schnell abgebaut, wie er gekommen war, war ich nun dran, den Spruch des „massiven Felsens“ nochmal auszugraben und mich dann auch mal massiv auf einem Baumstumpf setzte, weil alles wieder dicht war.

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Nach km 50 ging es langsam wieder, ich fand in irgendeine Art Flow zurück, ehe es mich kurz nach km 60 wieder traf. Georg ließ mich immer mal wieder alleine vorrennen und hat sich mental wirklich gekümmert, denn es fiel mir schwer noch rational zu denken und dafür bin ich einfach nur so dankbar.

An der vorletzten VP erfuhren wir, dass bereits schon 40 Läufer aufgegeben hatten. Ich kann es nur immer wieder betonen: diese Schwüle war die meiste Zeit unerträglich und sorgte allein schon für Schnappatmung. Ich kann wirklich jeden verstehen der sich das nicht mehr antun wolle!

Dann kam ich plötzlich am Waldrand an einem Pferd mit Reiterin vorbei und konnte nicht anders, blieb stehen und sagte voller Freude: „Ah wie toll, ich hätte nicht gedacht dass ich heute nochmal ein Pferdchen sehe!“ Lief hin und streichelte die weiche Pferdenase, bevor ich wieder weiter lief. Keine 100m später lag ein süßer Welpe mitten auf dem Trail, während die Besitzerin ihn fotografierte. Als er mich sah sprang er sofort auf und rannte zu mir, sodass ich ihn auch nochmal ordentlich durchkuschelte, während er mir das Salz von den Beinen schleckte 🙂 In diesem Moment dachte ich mir, dass mir das viel gegeben hat und ich sowas nicht erlebt hätte, hätte ich zuvor aufgegeben. Trail macht demütig, Trail macht empfänglich für die kleinen Sachen des Lebens. Ein Ultra ist irgendwie wie das Leben, nur im Zeitraffer. Und wenn man diese Zeitraffer von Hochs und Tiefs meistern kann, dann relativiert sich das eigentliche Leben etwas mehr.

Alles zwischen Kilometer 65 und 72 gehört verboten!

Es war letztes Jahr bereits mein Verderben und dieses Jahr natürlich wieder. Wenn man sich aber mal so umhört, bekommt man immer wieder gesagt, dass das totale Tief dort erst so richtig an Fahrt aufnimmt. Und das Schlimme ist, dass die letzte VP einfach nicht mehr zu kommen scheint. Wie letztes Jahr ging es zwei mal ewig lang über Wiesen und Feldränder bis man irgendwann mal im Wald ist, auch mal Bäche sieht, in denen man sich endlich mal die Arme abwaschen konnte. Eine weitere Clifbar, war ich nicht mal mehr imstande zu kauen, da es mir zu anstrengend vorkam oder ich es einfach vergaß. Zudem hatte ich aus einem mir unerfindlichen Grund die ganze Zeit klebrige, sowie leicht geschwollene Finger, sodass ich immer wieder etwas Wasser aus meinem Trinkschlauch darüber laufen ließ – wahrscheinlich wäre ich sonst wahnsinnig geworden!

Da die Strecke immer wieder leicht geändert wurde, um noch mehr durch Off-Trails führen zu können, verpassten wir die rot-weißen Bändchen und liefen kurz oder sogar länger in die falsche Richtung, was natürlich auch wieder Zeit kostete.

Mittlerweile meldeten auch meine Beine an mich, dass sie ja schon einiges gelaufen wären. Daher ging es Downhill nicht mehr so schnell, dafür war ich durchaus noch in der Lage zum Ende hin, mal einen steilen Anstieg hochzurennen. Das war letztes Jahr, überhaupt nicht mehr möglich gewesen. Ich versuchte viel positiv zu sehen, mich Kilometer um Kilometer vorwärts zu arbeiten, nicht zu oft stehen zu bleiben. Auf „3,2,1 – go“ wurde jedes Mal wieder angerannt. Manchmal heulte ich dabei fast, manchmal aber auch nicht. Und dann macht man die Erfahrung, dass Laufen doch öfter angenehmer ist als Gehen. Georg schaffte es sogar noch mir mein OK für eine Anmeldung für einen 50 Meilen November-Ultra zu entlocken. Bitte was stimmt mit mir nicht??

An einer Kontrollstation musste ich noch einmal mein Wasser komplett auffüllen, denn hier braucht jeder ewig, denn sonst gibt es Wasser eigentlich nur an den VPs. Wer den Bericht vom letzten Jahr kennt, weiß wie schrecklich dieser Abschnitt war und ist. Selbst auf den letzten 400m eines sich ständig windenden, engen Singletrails, blieb ich einmal ganz kurz auf einem Baumstamm quer über den Pfad liegend, sitzen. So weit war es also schon gekommen. Endlich oben, ließ ich mich in einen Stuhl fallen. Meine Beine schmerzten, mein Kreislauf, meine Atmung, alles war auf Anschlag. Ich musste Georg bitten mir meine Trinkblase aufzufüllen. Ich war nicht mächtig bis zum Kasten zu meinem deponierten Getränk zu gehen.

„Es fährt gleich ein Auto, das kann dich mitnehmen“
Noch bevor ich darauf Antworten konnte, übernahm das Georg für mich, dass das sicher nicht der Fall sein würde. Also beobachtete ich meinen fertigen Gegenüber, der gleich auf vier Rädern unterwegs sein durfte und hauchte ein leises: „Es ist echt hart heute“, in seine Richtung. Unterdessen kamen Christophe von -notkitchen- hochgestapft.

In meiner rechten Hand salzige Cashews, in meiner linken drei Wunderdrops. Neben mir 0,7 Liter Cola, während sich mein Blick schon überkreuzte und mein Magen sich zu verdrehen schien. Zudem hatte ich mir zwei fette Blasen direkt unter den Fußballen gelaufen, nur diese existieren schon seit mindestens 30km, durch Morast und tiefen Schlamm, doch sie waren mir egal. Ich wollte nur Luft und Energie.

Dann erhob ich mich, schwankte über die Straße, direkt wieder auf den nächsten Singletrail, bis die Cola plötzlich einschlug wie eine Granate. Da ging dann doch nochmal einiges an Kilometern und auch Anstiegen. Musik raus, wieder rein..so ging das immer wieder. Ich war deutlich schneller überreizt als sonst.

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(c) Heinz Sven Ritschard

Und wie nicht anders erwartet kamen die richtig fiesen Trails, mit quer liegenden Stämmen und Ästen. Ich konnte nicht mehr rennen ohne, dass ich links vom Trail irgendwo heruntergeschwankt wäre. Manchmal blieb ich stehen und umarmte einen Baum, aus Angst einfach umzukippen. Wieder anlaufen, Cola trinken, der nächste kurze Kick..laufen, laufen, laufen.

Cola leer. Ein anderes Getränk mit Koffein geschnorrt, welches wir uns gut einteilen mussten. Ich wollte einfach nichts mehr essen, ich wollte da „flüssig“ durch. Downhill fingen mir die Beine an zu zittern, meine Oberschenkel waren ebenfalls am Limit. Zudem hatte ich vergessen, dass am Ende nicht nur ein Steilhang mit Seil bewältigt werden musste, sondern gleich 3 und noch einige mehr, jedoch ohne Seil. Ich war so durch, dass Georg mich an seinen Trailstöcken zwei Mal nach oben ziehen musste, obwohl er selbst wahrscheinlich Schmerzen des Todes hatte..

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(c) Heinz Sven Ritschard

Ich wollte nicht mehr, aber nun war das Ziel so nah, irgendwie musste es gehen.. Noch 14km, noch 12km, noch 8km.. Das sind nur Zahlen, aber auf der Strecke sind diese Zahlen aus Kaugummi, man denkt es ist nicht wahr, man glaubt man ist im falschen Film oder beim falschen Ultra, weil man das meiste einfach nicht Laufen kann. Selbst als es nur noch ca. 5km waren, traten mir schon wieder die Tränen in die Augen. Wahrscheinlich deshalb, weil ich nicht 5km wandern wollte. Immer wieder gab es ein Energieloch. Zwei Schlucke Koffein-Zeug und es ging wieder weiter. Als wir endlich die Schleife um den See im Wald erreichten und dann schon wieder steil und steiler in den Wald einbogen, bekam das Wort „Unendlichkeit“ nochmal eine ganz neue Bedeutung.

Eigentlich kann man sich nur sicher sein, dass es gleich vorbei ist, wenn man über die letzte todbringende Wiese rennt, die mit einem letzten Downhill in Reichweiler endet, den man fast gehen muss, weil man natürlich keine Luft bekommt und die Oberschenkel versagen.

Als ich die Beschwerden-Tonne sah, hätte ich am liebsten etwas reingeschmissen, oder zumindest hingeschaut, ob es böse Zettel gab 😀

Dann wieder die letzten 1500m. Georg immer noch total gelassen und ich innerlich zwischen Hysterie und völligem Entsetzen es überhaupt und tatsächlich doch noch zu schaffen.

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Etwa 900m vor dem Ziel kam uns Davut entgegen, das war wirklich schön, er war etwa 1,5h vor uns im Ziel gewesen. Sobald wir um die Kurve auf den Asphalt bogen, nahmen wir die Beine nochmal in die Hand und rannten was ging. Kurz vor dem Ziel fassten wir uns an den Händen und rissen diese hoch. Alle jubelten und klatschten als wäre es ein erster Platz gewesen. Und diesmal rannte ich auch Eric bei der Medaillenvergabe nicht um 😉 Von mir fiel mehr als nur ein Stein ab. Ich konnte kaum etwas sagen, umarmte Marisa und suchte mir eine Bank zum Hinsetzen.

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Dann begann es zu regnen und ich suchte mir einen Platz unter den Zelten. Ab da ging es dann abwärts. Ich kann dieses Gefühl kaum mehr beschreiben, ich konnte weder aufstehen, konnte kaum trinken und etwas essen bzw. kauen erschien mir unmöglich. Auch wie ich die 500m zum Auto kommen sollte und vor allem zu den Duschen, war mir unklar.

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Marisa (die übrigens den Short Trail in 2:43h gewonnen hat) fuhr das Auto zum Glück hoch und gemeinsam schaffte ich es irgendwie zum Auto, mit blauen Lippen. Spätestens als ich unter der Dusche stand und mir unter wechselwarmen Wasser alles abwusch was dieser Tag mir angeheftet hatte, ging es mir wieder einigermaßen.

Zusammenfassend bleibt zu sagen:

Von 126 Startern, finishten an diesem Tag nur 74. Das letzte Drittel schied wohl an der dritten VP aus, darunter auch viele Frauen, sodass nur noch 8 von ihnen ins Ziel einliefen (ich war die 5.)! Das Wetter sollte man nie, niemals unterschätzen, das macht den eh schon körperlich und psychisch anstrengenden Kurs nicht gerade einfacher.

Ich bereue wie immer nichts. Auch in harten Zeiten Dinge zu Ende zu bringen sind sehr wichtig. Gute Freunde können wirkliche Rettungsanker sein. Zudem habe ich außer matschige Oberschenkel und einen mega verspannten Nacken, (durch den schweren Rucksack) nichts was zurückgeblieben wäre und das ist bei solchen Distanzen verdammt viel wert!

An alle die das hier lesen und das auch durchgestanden haben, aber auch die die vorzeitig abbrechen mussten: Chapeau! Und hoffen wir im nächsten Jahr einfach mal auf 10-15 optimistische Grad 😉

— Jamie

16 Gedanken zu “9. Keufelskopf Ultra (K-UT) 3.6.2017

  1. Super gemacht, Jamie: “ Auch in harten Zeiten Dinge zu Ende zu bringen sind sehr wichtig. “ Genauso ist es ! Das Gefühl DANACH nimmt dir keiner, Herzlichen Glückwunsch ! 😎

  2. Cool geschrieben, war wirklich eine harte Nummer…..und die Hoffnung bleibt, dass es nächstes Jahr ein bisschen kühler ist 🙂

  3. Ja das ewige auf und ab im Ultra, steht mir auch in knapp 5 Wochen beim Deutschlandlauf bevor und ich kann´s nachfühlen 🙂 Herzlichen Glückwunsch zu Deiner Leistung Jamie! Ich muss sagen, als alter Bergläufer interessiert mich dieses Rennen und ich will mal sehen ob es mir auch mal gelingt daran teilzunehmen – kommt halt immer auf die geplanten Wettkämpfe drauf an. Tortur de Ruhr schwebt mir ja auch noch vor…

    1. Ich drücke dir beide Daumen, aber ich weiß jetzt schon, dass du das souverän meistern wirst 🙂 Lieben Dank. Merk dir schon mal nächstes Jahr um diese Zeit vor, wäre super cool, wenn wir beide an der gleichen Startlinie stehen würden!

  4. Hallo Jamie,

    danke für Dein mitreizender Bericht. Ein Kompliment für Dein Durchhaltevermögen. Leider konnte ich das Wetter nicht bestellen, sonst wäeren est tatsächlich ein bedeckter Himmel mit 13 grad. Ich wünsche Dir ein schnelle Erholung.

    Eric

    1. Hi Eric,

      lieben Dank auch dir – ich bin mir sicher, dass du nicht verantwortlich für das Wetter warst 😉 Ich bin soweit wieder hergestellt, so schlimm konnte es dann also doch nicht gewesen sein!

      LG,
      Jamie

  5. Liebe Jamie,
    vielen Dank für den wie immer sehr ehrlichen Bericht über Deine Gedanken und Dein Befinden bei einem anscheinend sehr schweren Ultratrail. Ich hoffe Du bist wieder regeneriert, obwohl, wenn jemand einen solch detaillierten und emotionalen Bericht verfassen kann, dann sind die körperlichen Leiden bereits Geschichte, oder? 🙂

    Salut

    1. Hi Christian,

      ja das war schon ein Brett. Ich bin froh, von meinem Mitläufer dazu angehalten worden zu sein, das Ding zu finishen. Ich hätte mich geärgert, wenn ich abgebrochen hätte, das weiß ich jetzt. Mir geht es wieder gut, ich konnte schon am 4. Tag wieder mit dem Laufen beginnen und mittlerweile ist es fast so, als hätte es den K-UT nicht gegeben 🙂

      LG,
      Jamie

  6. Wie auch vom letzten Jahr ein mitreißender und emotionaler Bericht. Da findet man sich gedanklich definitiv an der ein oder anderen Stelle wieder.
    Nächstes Jahr das Jubiläum darf man halt leider auch nicht auslassen… 😉

    1. Lieben Dank! Ja da hast du wahrscheinlich recht, obwohl ich natürlich wieder den Gedanken hatte, dass ich eigentlich das nächste Jahr aussetzen könnte.. 😀

    1. Danke dir – geteiltes Leid ist ja irgendwo halbes Leid 😉 Ich habe dem Spray jetzt abgeschworen und kann mich ganz gut auf Allergie-Tabletten verlassen. Drei Tage nach dem Ultra, ging es plötzlich wieder aufwärts. Eine andere Komponente ist auch der Stress den ich auf anderen Gebieten über Monate hatte. Irgendwann rebelliert dann der Körper, das war auch schon Wochen vor dem Ultra so, ich hatte leider immer nur auf die Allergie getippt…manchmal muss man halt auch in andere Richtungen forschen, um Lösungen zu finden 🙂

  7. Großes Lob, für dein Durchhaltevermögen auf diesem sicherlich schwersten dt. Ultratrail. Beim Hitzelauf 2014 durfte ich diese Strecke ebenfalls kennenlernen. Unterwegs berichtete mir deine liebe Freundin Marissa von deinem 85km-Vorhaben. Marissa und ich liefen ca 1.40 h auf dem Shorttrail bis ins Ziel zusammen und oft dachten wir an dich. Da du und Marissa sicherlich gut den KUT verdaut haben, wollte ich auf diesem Wege euch von unserer Aktionsveranstaltung „Donnersbergtrail am 1.7“. (ohne Zeitnahme, kein Startgeld) informieren.
    Eine gute Zeit und weiterhin viel Freude am Trailrunning wünscht Karl-Heinz

    1. Vielen Dank! Ich glaube Marisa hat mir kurz von dir erzählt 🙂 Die Bedingungen an diesem Tag waren einfach nicht meine, ich bin was Wärme und Luftfeuchtigkeit betrifft ein richtiger Waschlappen. Leider bin ich ab dem 1.7. bereits wieder unterwegs (nur leider nicht läuferisch). Ich habe aber schon den Flyer gesichtet 😉

      Liebe Grüße und ebenfalls frohes Laufen!

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