Was fällt einem sonst noch so ein, wenn man einen Urlaub plant und drei bis vier Tage zuvor erstmals Zeit hat sich mit dem Ziel und den Bedingungen irgendwie auseinanderzusetzen? Ich habe dann erstmal die Trailschuhe in den Koffer geschmissen, das Wetter gecheckt, dann doch etwas mehr Klamotten eingepackt und anschließend wollte ich mir ein paar GPX Tracks auf die Uhr spielen. Ich dachte gpsies gibt mehr her, aber in diesem Fall nur eher rund um Reykjavik und nicht dort wo wir die Zeit verbringen würden: mitten im Outback neben einem „Dorf“ mit ein paar Häusern bei Akranes.
Das zweite was ich fand war eine Auflistung diverser Ultra-Trails in Island, die ich interessehalber mal durchscrollte. Bis ich beim Mt Esja Ultra hängen blieb, das Datum sah und ich plötzlich ganz aufgeregt wurde. Nur einen Tag später wurde die Kreditkarte gezückt und ich war angemeldet! Ich dachte mir, es wäre vernünftiger nur die 46km mit 4000HM zu laufen, anstatt die 77km mit 6600HM. Zudem würde es mir einen Überblick verschaffen, wie hier gelaufen wird und vor allem wo.
Ich stand um 5h auf und jetzt dürft ihr mich ruhig auslachen, denn Not macht durchaus erfinderisch! Einen Tag vorher war ich durch einen kleinen Supermarkt geschlichen und habe mich mit noch mehr Riegeln eingedeckt und mit Babybrei „vor Gröt“. Abends lief ich dann an der Rezeption vorbei und fragte „Excuse me, can I have a spoon?“
Mit meinem Spoon bin ich dann auf mein Zimmer gehüpft und habe dann mein Frühstück schon mal präpariert: 2 Gläser waren auf dem Zimmer, ein Weinglas und ein normales. Ich füllte Portionen in die Gläser. Am nächsten Morgen stand dann die Frage im Raum: Woher heißes Wasser? Gut. Ich habe die Senseo Maschine zweckentfremdet, sie ein paar Mal durchlaufen gelassen und dann das heiße Wasser direkt in die Gläser gegossen 😀 Frühstück ist fertig! (Auch wenn es nach nichts schmeckte, aber es war dann rückblickend doch irgendwie alles drin was ich brauchte).
Um 6 Uhr fuhren wir Richtung Esja, natürlich im Regen, denn der Ultra sollte um 8h starten. Leider fuhren wir in die falsche Richtung, da Garmin angab, es gäbe einen Weg über das Wasser. Tja dieser Weg war eine Fähre die leider nicht fuhr. Also alles wieder zurück. Wir hätten um 7 Uhr da sein sollen, um 7:30h fand das „Technical Meeting“ statt. Ich wurde nervös. Sehr. Vier Minuten vor 7:30h rannte ich quer über diese Wiese und fiel völlig nass in das eigentliche Restaurant ein. Ich unterschrieb irgendwas, bekam meine Startnummer und ein Chip-Band an meine Fessel, begann nochmal meine Riegel zu checken und wollte eigentlich nur noch los. Alle waren ruhig und freundlich. Die Isländer sowieso, der Rest kam aus Schweden, Dubai, Frankreich, Japan..
Und dann kam das technical Meeting. Wenn ihr mögt seht und hört euch einen Ausschnitt des Briefings an, indem ihr auf das untere Bild klickt:
Mir wurde es immer kurz leicht anders, als ich immer wieder folgendes hörte: „It’s very slippery, it’s wet, it’s very technical and very rough. There will be a clif, be careful..ah and there is a ridge. You really have to pace yourself downhill! You will have a looong day in the mountains.“
Here we go

Startaufstellung. Alle in Regenjacken. Jeder fror. Der Fotograf jammerte noch lachend, dass er nicht ewig so verharren wollte. Blitz hier, Blitz da. Stimmung? Bestens. 10,9,8..2,1 (hier nimmt man es mit der länge der Sekunden nicht ganz so genau) und es ging los. Erstmal in die falsche Richtung, denn irgendwie gab es noch keine Markierung. Auf der ersten und letzten „Straße“ rannte ich unwissend zu meiner Grenzerfahrung.



Aus der Straße wurde Wiese, die Wiese wurde zu einem Pfad, ich sah einen Fluss und einen roten Farbpunkt auf einem Stein. Also ging es dort weiter, über schwarze Steine balancierten und hüpften wir, bis man irgendwann an einer Felswand entlang klettern / steigen musste, um nicht in den Fluss zu fallen. Im Briefing hieß es, dass man sich danach eine geeignete Stelle suchen sollte, durch diesen Fluss zu kommen. Okay, wird gemacht. Auf der anderen Seite angekommen, fing ich an die ersten Anstiege zu rennen, bis ich plötzlich merkte, dass es so steil wurde, dass es reine Selbstzerstörung wäre. Also ging ich zum Speedhiken über und schob mich doch recht zügig immer weiter nach oben, stöpselte mir einseitig Musik ins Ohr, da ich mal wieder fast alleine war. Es lief gerade „Right where it belongs“ von Nine Inch Nails. Ich blieb stehen, sah mich um – es war der Wahnsinn! Ich war so glücklich. Ich war hier richtig.
Dann stieg ich weiter, verschwand im Nebel. Ab da konnte ich keine Bilder mehr machen, denn es war Konzentration gefragt. Einen richtigen Pfad gab es nicht. Es gab lediglich kleine pinke Markierungen auf kleinen Steinen am Boden oder mal auf einem Felsbrocken. Zudem war es so steil, dass man nicht stehen bleiben konnte, ohne den Halt zu verlieren. Plötzlich kam mir ein Typ mit einem flatterden roten Regenmantel entgegen: „A person got lost. Is it you?“ „No, maybe the guy 800m behind me?“
Da lachte ich noch. Es war hart, der Wind ließ meine Regenjacke flattern wie einen Drachen. Nebelschwaden verhüllten diese monströsen Berg mit seiner Weite. Ich war fast die einzige, die keine Hiking poles mit dabei hatte. Ich verließ mich auf meine Hände und Oberschenkel. Bis es so steil wurde, dass mir der Berg entgegenkam und ich mit dem Händen greifen musste. Ich drehte mich niemals um. Manchmal kam ein kleiner Gedanke durch, dass ich dass alles im Downhill ja auch wieder herunter musste.. Auf 3km kamen ca. 700HM – 150HM auf 1km erschienen da schon wieder flach und nahezu laufbar.
Dann erblickte ich vor mir plötzlich ein Schneefeld. Der Wind hatte noch mehr zugenommen, der Nebel verhüllte das meiste, aber auf diesem Schneefeld schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Ich erreichte es, setzte prüfend die Füße auf den Untergrund, machte einen Schritt und rutschte aus. Anders wie ein paar meiner Vorgänger, schien ich kaum einen Abdruck zu hinterlassen, auch nicht mit versuchter Gewalt, denn irgendwie war das geeister Schnee. Also versuchte ich in deren Abdrücke zu treten. Und dennoch war es so: einen Schritt vor, zwei zurück. Ich fiel und rutschte immer wieder. Selbst die letzten beiden auf den gewohnten vulkanischen Boden, wollten kaum gelingen und ich sah mich schon rückwärts wieder herunter schlittern. Dann eben nochmal mit den Händen in die Erde fassen und dabei die nicht vorhandene Stöcke oder Eispickel verfluchen.

Etwa 200 Meter weiter konnte ich schemenhaft eine Gestalt ausmachen, welche die Startnummern via WhatsApp verfasste. Dort hinauf hätte wohl niemand den Checkpointkoffer bringen können, sehe ich auch ein. Grinsend lief ich auf ihn zu und fragte nochmal wo es denn herunter ging – jaja eigentlich immer herunter und schauen ob irgendwo ein pinker Punkt ist. Also erst einmal das Schneefeld: ein Schritt und ich lag direkt wieder. Das Feld verlief in den Nebel, das hieß ich sah nicht, ob ich gleich in den Abgrund schlittern würde oder Glück hatte. Sitzend grub ich meine Fersen in den Schnee, um Halt zu finden, während ich mich aus meinem Rucksack schälte, um an meine Handschuhe zu kommen. Der Schnee war undankbar scharfkantig. Und dann rutschte ich von dannen, so halb hockend, mit den Händen ausgleichend. Immer wieder bremste ich ab, damit ich nicht zu nah an die undurchsichtige Stelle gelangte. Danach wieder festen Boden unter den Füßen. Wobei, fest?! Wohl eher mehr als Gerölllastig. Steine, Felsbrocken, Mini-Steine..was auch immer man sich nur erträumen kann. Einmal nicht aufzupassen, konnte hier böse enden.
Ich sah genau 8 Farbpunkte und dann leider keinen einzigen mehr. Weitsicht? No way. Der Nebel wurde noch dichter und die Orientierung fand quasi nur noch in einem Schuhkasten statt. Ein paar Schritte zu weit nach links könnten bedeuten, dass man sich am Ende ganz woanders wiederfand. Runter ist zudem auch nicht gleich runter. Runter bedeutete, dass man öfter der Natur ausweichen musste. Reißende Flüsse, Abgründe, moorige Graslandschaften, die einem fast die Schuhe auszogen. Mehrfache Flussquerungen. Dies zwang mich im Zickzack zu laufen und mich letzten Endes völlig verwirrt in einer Nebelsuppe wiederzufinden.
Alles was ich wusste war, dass rechts von mir ein Abgrund sein musste und es einen „Weg“ geben musste, links herunter zu kommen. Das mag sich jetzt nicht so dramatisch anhören, doch das war es. Da ich auch immer wieder hochsteigen musste, weil der Abhang mal wieder näher kam. In mir wuchs die Panik. Es war kalt, es war extrem windig, ich kam nur langsam vorwärts und wusste noch nicht einmal, ob das zielführend war. Ich versuchte Ruhe zu bewahren, meinem Gefühl zu vertrauen, mich mehr links zu halten, durch den Fluss lieber knietief zu steigen, als später ein reißendes unumgehbares Gewässer vorzufinden. In mir herrschte zeitweise sowas wie Todesangst, ich überlegte, ob es nicht eine Bergwacht geben würde. Ich wollte mit irgendjemanden sprechen, aber wem sollte ich erklären wo ich überhaupt bin, wenn man noch nicht einmal den Himmel richtig sehen konnte? Völlig durchnässt und mental am Punkt aufgeben zu wollen.
Ich suchte mir die flachen Stellen. Obwohl man schon flach teilweise als 200-300m Abstieg auf den Kilometer bezeichnen konnte. Manchmal musste ich auch langsam irgendwo herunterklettern. Ich hatte sehr sehr viel Zeit verloren, mit Sicherheit 1,5h – als ich dann plötzlich durch den Nebel trat und die Straße in greifbarer Nähe sah – greifbar bedeutete in etwa 5km. Ich glaubte den ersten Lap gleich überlebt zu haben, sah den Fluss des Anfangs wieder und rannte und hüpfte den pinken Markierungen hinterher, bis ich sogar wieder auf einem Weg war, der zur Aidstation führte. Bis plötzlich ein Auto neben mich fuhr und die Scheibe herunter ging: „Sorry, you’re wrong. Come on, sit in!“
Völlig perplex setzte ich mich ins Auto und bemerkte postwendend, dass er mich die ganze Strecke wieder zurückfuhr die ich gekommen war. Unterdessen führte ich mit ihm eine hitzige Diskussion über Streckenmarkierungen und wo ich hatte Läufer laufen sehen.
„You have to go back to the river and follow the red signs, then you will go back to the aidstation“
„I only want to know if I have to go on the right side after the river..?“
„Yes, a little up and then you go down on the right.“

Ich sprang aus dem Auto, frustriert, mental am Ende. Ich musste noch einmal in meinen Alptraum, zumindest ein bisschen. Das einzige was mich motivierte war, dass es danach direkt wieder zurückgehen sollte und die Tatsache, dass mir eine Orga-Frau eine Energy-Waffel in die Hand drückte, die ich verwirrt annahm. Vom Tal aus half man gerne, von oben sah die Sache einfach anders aus.



Dann traf ich auf Siggi, der mich ein Stück am Fluss entlang begleitete, bevor die richtige Kletteraktion starten würde. Ich hatte mal was von „Ridge“ gehört und steuerte in dieser Verfassung direkt darauf zu. Selbst mit Markierungen war es schwer zu sehen, wie man die Schritte an und auf das Vulkangestein setzen sollte, um sich irgendwo hochzuziehen. Zwei Meter unter mir lag ein spitzes Felsenmeer, meine Schuhe fanden nirgendwo Halt auf den Steinen. Alles war nass und glitschig. Ich griff in die Wand um mich zu sichern, als ich plötzlich merkte, dass ein Stück der Wand sich löste und ich in Zeitlupe begann zu rutschen und zu fallen. Hätte mein Begleiter mich nicht im letzten Moment noch gepackt..möchte ich nicht wissen was passiert wäre. Noch zwei bis drei Mal irgendwo nach oben ziehen und ich stand oben auf dem Ridge. Als würde man sich gerade ein Youtube-Video anschauen. Völlig surreal. Ich blendete alles aus. sah nur den schmalen Grad unter meinen Füßen und wusste um meine Höhenangst.

Siggi verabschiedete sich wieder und erklärte mir wie der Kurs weiter verlaufen sollte: „..just along the river then you will see the last marking, go up until you see a guy next to a big rock. Then go down again but there are no markings. See you!“
Along the river, along the river.. bloß nicht wieder vergessen. Dumm war nur, dass es viele Flüsse gab. Ich folgte höchst konzentriert, parallel zum Berg, allen rot-weißen Markierungen. Die letzte dieser Art war eine riesen Flatterband-Markierung in Form eines Pfeils der einfach nur nach oben zeigte. Okay, also nur hoch und den Guy am großen Stein finden. Sollte nicht so schwer sein.
Der Anstieg glich dem ersten Anstieg. Ich kramte wahllos immer einen neuen Riegel hervor und biss ein Stück davon ab. Das Iso in meiner Trinkblase rettete mich schon seit Beginn immer wieder, sodass ich mich zumindest gut auf den Anstieg konzentrieren konnte. Wieder kam ich in den Nebel. Und es verunsicherte mich, dass ich keine Markierungen mehr sah, obwohl ich eigentlich wusste, dass es keine mehr gab. Es war einfach nur ewig, wurde kälter, stürmischer, nebliger. Ich sah viele große Felsen, aber ich fand keinen Typ. Ich fand gar nichts. Ich hätte gefühlt noch Stunden hinaufsteigen können. „Habe ich die Kraft noch dazu, wenn ich sie immer weiter verschwende?“ Ich gab meinem Gefühl nach und änderte den Kurs, ich lief wieder hinab, möglichst die gleiche Strecke, so hatte man es mir ja gesagt. Durch das Zickzack-Laufen und den Nebel, war es aber plötzlich nicht mehr die gleiche Strecke. Das war der Punkt, an dem ich handelte und den Track des Mt Esja Ultra auf meiner Uhr startete.
Ich sah den Track und ich sah meine Position, viel zu weit rechts daneben. Ich setzte mich wieder in Bewegung. Folgte dem Pfeil. Zumindest dachte ich das. Stieg durch Morast, über glitschige Steine.. es war ein einziger Hindernislauf. Wieder Abgründe, die einen Richtungswechsel erzwangen. Es machte mich fertig. Viel Zeit verging. Plötzlich sprang der Pfeil um und ich sah dass ich vom Track weg lief. In mir Überschlug sich alles. Ich bemerkte, das Kreiseln des Pfeils. Es war furchtbar. Also lief ich nach Gefühl und grober Richtung, Umweg für Umweg, durch steiles, raues Gelände im Sturm, während ich nur noch das Flattern der Kapuze um meinen Kopf hörte und der Regen auf mich eindrosch.
Aidstation..wo bist du? Ich sah wieder Menschen. Ich war fast unten, musste aber noch eine Art Klettersteig an einer Eisenkette heruntersteigen. Es war eine einzige Kletteraktion, mit viel Gerutsche und Herzrasen. Dann sah ich endlich mal normale Wanderer, ich war also gleich wieder auf Wanderwegen! So schnell war ich noch nie über das Geröllmeer gerannt. Es muss ein Bild gewesen sein, wie ich völlig aufgelöst einfach random einen Berg herunterkam, den man sich normalerweise vom Wanderweg nur anguckt und sich denkt: „Oh, was ein prächtiger Berg!“
Mit einem Satz landete ich neben ihnen und lief ihren Weg zurück bis zur Aidstation, während die 14km Läufer mir gerade entgegenkamen und fast jeder klatschte als er meine rote Startnummer sah und brüllte irgendetwas auf isländisch, was mich wieder kurz bis zur VP beflügelte. Eigentlich hätte ich mich ja gerne heulend irgendwo hingeschmissen. Stattdessen suchte ich mit einem Becher Cola in der Hand nach Thomas, der natürlich gerade nicht da war, mir somit aber die Entscheidung abnahm nicht aufzugeben. Ein Läufer schmiss nämlich gerade alles hin, seine Beine seien kaputt.

Ich füllte meine Softflask auf, traf auf Siggi und ein paar andere: „Are you ok? You won’t give up?“ „My legs are fine. I will continue if I find anybody to run with..“

Dann stand eine Schwedin neben mir, lächelnd, aber auch genauso fertig. „Do you want my company?“ Sowas von! Ein zweiter Becher Cola und wir rannten nach kurzer Studie der Karte den orangenen Markierungen hinterher. Im Nieselregeln, futterte sie irgendetwas mit einem Löffel aus einer Tüte, während ich den 1337 Riegel aufriss, um ihn anzuknabbern. Gesprächsmaterial war genug da. Ich dachte ich wäre die einzige, welche zu doof zum richtig-Laufen war. Es hatte aber noch viele andere getroffen, auch sie. Wir machten unserem Ärger Luft. Konnten es beide nicht fassen was wir uns da angetan hatten. Aber auch nicht was wir bereits geschafft hatten. Wir gingen den nächsten Lap an, der so technisch nicht mehr sein sollte, dafür schön steil. Vergleichen wir es mal mit dem Altkönig, sowie Stellen des ZUTs. Badewanne und Beruhigung, im Vergleich zu den letzten verzweifelten Stunden und etwa 19km.
„Save your energy“
Rennen, gehen, rennen. Wir einigten uns darauf. Sie packte ihre Stöcke aus. Während ich überrascht war, dass meine Beine sich scheinbar an kaum etwas erinnern konnten. Zusammen schraubten wir uns die Anstiege nach oben. Mal zog sie mich, mal ich sie. „I want to see the forest route! We can do that!“

Über die Zeit wurden wir ein gutes Team, während wir uns vom Nieselregen in den richtigen Regen, harschem Wind und dem Checkpoint „Steinn“ begaben, während wieder eine einzelne Person dort oben stand und der Koffer beim Passieren einen Signalton ausstieß. Checkpoint. Hatte Expeditions-Charakter. Auf der anderen Seite wieder herunter, über schmierigen Boden mit kleinen und großen Steinen, meistens in Serpentinen und dann über die letzte Brücke zum Start/Zielbereich.
„Are you ready for two more laps?“ „I have to!“

Aidstation. Cola rein. Sowie vier unverschämt gute Schokoriegel mit Puffreis. Wasserausschank aus dem Kanister direkt in die Trinkblase, weil das Ventil unten nicht mehr funktionierte. Alles wieder Startklar, die Veranstalter waren happy als sie uns ansahen. Wir rannten los. Quer über die Wiese, nun den grünen Markierungen hinterher. Die uns direkt wieder zum Ausgangspunkt brachten. Also nochmal die Karte gezückt. Wir waren die Schleife des gelben Tracks gelaufen. Andere Richtung, neuer Versuch, diesmal ging es wieder über die Brücke aber recht bald Richtung Wald, über einen schmalen Singletrail direkt durch hüfthohe weiße und lila Blüten, bis wir über einen Wurzelpfad im Märchenwald verschwanden. Der Boden ein einziges fluffiges Kiefernadelbett – links neben uns dichte Baumreihen und als wir wieder heraustraten unglaubliche Panoramen der weiten Berge in allen Grüntönen und dazwischen von all diesen lila Blumen übersät. Die Landschaft wechselte sehr sehr schnell. Schon bald standen wir wieder in der Kargheit des Vulkangesteins, während ich versuchte mein kleines Tief wieder loszuwerden.

Spätestens als alles wieder unangenehm steil wurde, drehte ich wieder auf. Nun hatte meine Schwedin ihr Tief. Ich lief wieder vor und schlug vor, dass sie ihre Jacke wieder anzog. „I was too lazy to do that..“ Kenne ich leider nur zu gut.
„Did you hear this?“
Ständig dachte ich, ich würde Leute hören und das Piepen des Checkpoints. Wir dachten es wäre nicht mehr weit und vermuteten hinter jeder Kurve und jedem Anstieg endlich eine Person. Wäre ich dort alleine gelaufen hätte mich das ganz schön herunter gezogen. Ich verbiss mich in einem Kokosriegel, während wir dem Wind trotzten und ich einen Zahn zulegte. Gemeinsam sammelten wir den Kerl aus Dubai wieder ein. Das Panorama wich wieder dem dichten Nebel – wir waren auf dem direkten Weg zu „Steinn“ und trafen wieder die 14km Läufer die gerade ihren Lap beendeten. Ich hörte ständig „Allez allez!“ Nun konnte es einfach nicht mehr weit sein. Und so war es dann auch tatsächlich. Oben angekommen dann die Ernüchterung. Wir hatten den Cutoff nicht mehr geschafft. Scheiß Verlauferei!

„It’s only important that we didn’t give up!“ Sie hatte ja so recht. Es wären nur noch 7km auf der orangenen Route gewesen, ich wäre sie wahrscheinlich auch noch gelaufen. Doch wenn ich genauer in mich hineinhorchte, konnte ich spüren dass ich riesige Blasen an den Füßen hatte und sich bei jedem Schritt die spitzen Steine durch die Sohle in das Fleisch bohrten. Meine Knie meldeten sich dann auch beim letzten Downhill, sodass ich mir Stöcke schnorrte. Meine Begleiterin war völlig durch. Sie lief, hielt an und lief wieder. Immer noch im Regen über steile Serpentinen und rutschigen Lehm zwischen all den Steinen, rutschten wir dem Ziel entgegen.
Wir traten aus dem Nebel heraus, ich konnte nun endlich von oben auf das Tal blicken, sah die Route vor mir, wusste es war gleich vorbei. Ich konnte noch laufen, ich hatte überlebt. Es tat weh, aber es war alles gut so. Ich war beinahe einen Marathon gelaufen, unter den widrigsten Umständen die ich mir hätte vor dem Start träumen lassen.
Die letzten Sprünge über kleine Steinmauern und Bäche, dann kamen links und rechts wieder die lila Blumen, der Wind wurde wieder wärmer. Ich steuerte auf die letzte „Brücke“ zu, als ich Thomas kurz vor dem Ziel im Regen stehen sah – er hatte mich tatsächlich gut abgepasst.
Ich hüpfte den letzten mini Downhill herunter und lief mit langen Schritten durch das Ziel mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Jeder umarmte jeden. Das erste was ich sagte war: „I forgot to ask you for your name!“ Wir waren stundenlang zusammen gelaufen und keiner wusste den Namen des anderen. „I’m Sofia!“ „Jacqueline – nice to meet you!“



Wir wurden gefragt, ob wir wiederkommen würden. Wir hielten das nicht für ausgeschlossen, zumal wir nun wussten auf was wir uns tatsächlich eingelassen hatten. Die Bedingungen seien auch härter gewesen als in den letzten Jahren, das machte die Sache besonders schwierig. Es kam nur eine Frau ins Ziel. Wäre ich nicht so lange alleine gewesen, hätte das ganze eventuell einen anderen Charakter gehabt. So oder so war es jedoch eine Erfahrung, die ich mal wieder nicht missen möchte. Unvergleichbar mit den Läufen in Deutschland.. Man braucht auf jeden Fall einen klaren Kopf – Selbstüberschätzung ist total fehl am Platz. Stöcke sind auch mehr als zu empfehlen..es geht aber auch ohne 😉
Für alle Interessierten: unter folgendem Link könnt ihr euch die einzelnen Abschnitte mit Kilometern und Höhenmetern anschauen. Da war ich eben fast kurz selbst wieder überrascht.. 😀 -Mt Esja Marathon Course-
— Jamie
Ich ziehe immer wieder meinen imaginären Hut vor dir! Wunderbar geschriebener Artikel! Ich kann mir richtig vorstellen wie die Begebenheiten dort waren! Wer sowas im Urlaub macht, der ist absolut laufverrückt. Aber so macht man die besten Erinnerungen. Vielleicht solltest du auch mal über den Tromso nachdenken 😉
Bis bald!
Dennis
Danke, freut mich sehr! Ich finde es sehr spannend, auch im Ausland zu laufen und ganz andere Erfahrungen zu sammeln. Den Tromso google ich mir mal 🙂
Liebe Jamie,
nicht nur physisch, sondern v.a. mental fordernd war dieses isländische Meisterstück…dennoch scheinst Du es genossen zu haben. Erhol Dich gut!
Salut
Ja das habe ich! Was einen nicht umbringt… 😉 Danke!
Verrücktes Huhn 😉
Aber sowas von verrückt, aber eben auch geil!
Ach lass mich doch 😀 Ja war echt cool. Bereue gar nichts 🙂