Wenn man quasi nur noch von (Ultra)Läufern umgeben ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass einem irgendwann folgende Frage gestellt wird: „Hast du Lust mit nach Hawaii zu kommen und beim -HURT100- zu supporten?“ Noch höher ist sie, dass sie von Georg Kunzfeld kommt.
Nur jemand der wirklich irre ist, hätte da nein gesagt. 100 Meilen in der tropischen Hitze von Hawaii über Monsterwurzeln und auf extremen Dschungel-Trails. Dafür lassen sich die Leute in einer Lotterie ziehen. Zudem war die Verlockung groß, knapp über eine Woche die Insel unter die Lupe nehmen zu können und während dieser Zeit bei ansässigen Läufern in Pearl City unterzukommen. Einzig die Flugzeit von über 21 Stunden hin und 27 Stunden zurück, verschreckte mich leicht, wurde aber recht schnell wieder ausgeblendet.

Während ich die ersten 12 Stunden mit der Lufthansa noch größtenteils verschlief, saß ich die zweiten 6 Stunden ab L.A. mit klaustrophobischen Anwandlungen auf einem Fensterplatz der United Airline, während mein Kopf gefühlt die Decke berührte und meine Knie am Sitz des Vordermanns gestaucht wurden. Eine derartige Selbstbeherrschung an den Tag zu legen, um nicht die Nerven zu verlieren, hätte ich mir niemals zugetraut.
Nach dem Überspringen mehrerer Zeitzonen, kamen wir um 18:30h (hawaiische Zeit) in Honolulu an und wurden primär zunächst von der hohen Luftfeuchtigkeit begrüßt, die mir postwendend den Rest gab. Eigentlich wollte ich nur noch schlafen, aber die Agenda war noch lange nicht abgearbeitet. Nachdem uns Donielle & Chris mit Blumenketten begrüßten, hatte ich erst einmal ein paar Minuten Zeit, im klimatisierten Auto, mich zu sammeln. Auf direktem Weg ging es in ein Kino, in welchem wir uns einen -Film- über den HURT100 anschauten. Besser einstimmen ging wohl kaum, zeigte aber auch, was für ein Abenteuer auf uns wartete. Fast eine Woche hatten wir Zeit den Jetlag zu überwinden und uns auf die Temperaturen einzustellen, ehe für Georg der Startschuss fiel und ich als Volunteer mit anpacken würde.
Byebye Winterklamotten
Man vergisst schnell, wie heiß so eine Sonne strahlen kann, wenn man aus einem wohltemperierten Haus tritt oder kürzlich noch den letzten Snowrun erlebt hatte.
Der Weg zum Walmart und zurück, brutzelte mir die Gehirnzellen nieder und ich fragte mich, wie die Leute hier überhaupt trainieren können. Ein paar Stunden später ging ich genau dieser Frage auf den Grund – einschließlich der Challenge „so wenig Stoff wie möglich“ und Georg als Wasserträger auf dem Rad. Wir wollten schauen, ob wir es bis Pearl Habor schaffen würden, drehten jedoch nach etwa 7 Kilometern wieder um, da es keinen erkennbaren Radweg mehr gab.
Paradiesische Stellen wechselten sich ab mit Autowracks, unzähligen Katzen, Obdachlosen und derben Gerüchen. Ohne Begleitung war es mir wirklich nicht danach, jemals alleine dort laufen zu gehen. Alles was sich hinter der Kontrollgrenze des Militärs abspielte, war gefühlt nur mit Vorsicht zu genießen. Umso weniger verwunderte es mich, dass man auf dem Rückweg, an eben dieser Kontrolle, seinen Pass vorzeigen und sich in eine Liste eintragen musste. Das Laufen an sich war einerseits befreiend (kurze Hose), andererseits, dörrte es mich schlicht und ergreifend einfach aus, aber ich war optimistisch, dass ich mich irgendwann noch daran gewöhnen würde und sei es am letzten Urlaubstag 😉
Die nächsten Tage
..verbrachten wir mit lockerem (Alternativ)Training, gutem Essen und einem interessanten Abendprogramm.



Pre-Race
Es war noch immer unverändert heiß, als wir am unteren Parkplatz des Nature Center eintrafen, gefühlte Ewigkeiten die Straße hinauf liefen und uns zu dem Pulk Menschen gesellten, die gerade dem schon begonnenen Briefing lauschten.
Wenn man sich nicht bewegte und man sich gerade im Schatten befand, konnte man es fast aushalten. Das hieß aber auch, dass die Mücken freie Bahn hatten und mich schier in den Wahnsinn trieben. Also wurde doch wieder rumgehampelt und mit einem Ohr gelauscht, was es zu diesem Irrsinn an Ultra, überhaupt noch zu sagen gab. Ich blickte immer wieder nach rechts in den Dschungel, konnte es mir aber noch immer nicht recht vorstellen, was dieser für Trails bereithielt.

Die Stimmung war schon zu diesem Zeitpunkt elektrisierend, sodass ich auch große Lust auf den Lauf bekam. Alle Läufer bekamen eine Startnummer mit Tasche und unter anderem einem Bändchen ausgehändigt, welches unbedingt im „lucky water“ getauft werden musste und bis nach dem Rennen, nicht mehr abgelegt werden durfte. Es hätte noch nie einen Finisher gegeben, der es ohne das Band ins Ziel geschafft hat.



3am – Raceday
Wir machen uns mit Sack und Pack auf ins Auto, denn um 6 Uhr ist Start. Ich bin dem Umständen entsprechend geschlaucht. Es ist still, während wir immer höher kurven und zwischen den Bergen Honolulus verschwinden. Als wir aussteigen ist es so dunkel, dass ich am liebsten schon die Stirnlampe ausgepackt hätte. Zudem ist es so kalt, dass ich in meiner kurzen Hose anfange zu frieren und selbst die Jacke nicht viel für mich tut. Dabei sind es 18 Grad, nur die Sonne fehlt.
Wir richten uns ein und postieren Wechselklamotten, Schuhe, Elektronik und Verpflegung rund um einen der Stühle an der Aidstation des Nature Centers. Ob ich mir alles merken kann und nach Stunden noch weiß, was in welcher Seitentasche untergebracht ist..?


Donielle, Chris und Georg verschwinden in die Startaufstellung der 133 anderen Läufer und ich suche mir einen guten Beobachtungsposten. Der Start, bzw. der Prä-Start, ist irgendwie ein Gänsehautmoment. Alle stehen andächtig am Rande des Dschungels, es wird ernst, alle sind ganz still. Ich spüre die Dynamik und höre nur das Zirpen der Grillen, plätscherndes Wasser und die instruierende Stimme aus dem Gestrüpp, die gerade zu einer andächtigen Schweigeminute aufruft und danach ein hawaiianisches Race-Gebet ertönt, welches mit den Worten „Earth is my body“ beginnt, dessen Worte von allen Teilnehmern im Chor wiederholt werden. Dabei kann man glatt vergessen, dass 160 Kilometer ganz schön viel sind, wenn man schon als Beobachter Schauer über den Rücken gejagt bekommt.
Die träge Masse setzt sich in Bewegung und verschwindet im schwarzen Loch. Ich bleibe noch kurz stehen, blicke ihnen nach und plötzlich ist es wieder still. Langsam laufe ich wieder zum Kontrollpunkt der Aidstation und versuche mir vorzustellen, was der Kurs bereithält. Ich gehe von fünf bis sechs Stunden aus, ehe ich Georg wieder zu Gesicht bekomme. Dann mache ich mich nützlich und schleppe gefühlte tausend Kisten, mit Getränken und Lebensmitteln aus einem Laster, zur Station. Endlich wird mir wieder warm und ich lerne den harten Kern der Volunteers kennen.
Zusammen mit anderen Freiwilligen bringen wir Lichterketten an, backen Muffins, kochen Reis und beschriften das Buffet. Es ist keine Übertreibung, denn es gibt hier wirklich alles zu essen und zu trinken, was man sich als Ultraläufer nur vorstellen kann. Und das rund um die Uhr, ohne, dass mal etwas nicht vorrätig gewesen wäre.
Ich bin dann doch etwas erstaunt, wie schnell die Zeit verstreicht, es hell wird und ich plötzlich das offizielle HURT100 Volunteer Shirt trage. Alles hat sich eingespielt, als plötzlich aus einem Handy eine Sirene ertönt. „Ein komischer Klingelton“, war mein einziger Gedanke. Etwas zeitverzögert setzen plötzlich auch die anderen Smartphones ein. Ich bin irritiert, laufe zu der Traube an Menschen, die sich besorgt ansehen und schaue Stan ins Gesicht, der gerade hinter seinem Laptop aufblickt und mit ernster, fester Stimme sagt: „This is not a joke.“
Mein Herz macht einen Satz. Was ist kein Spaß? Ein Unfall? Ein „was-auch-immer“? Immer wieder erreicht das Wort „missile“ mein Ohr. Ich weiß was das ist, bin jedoch unfähig, das zu glauben. Ich frage zwei Mal nach, lasse mir sogar das Wort online übersetzen. Aber „Lenkflugrakete“ beruhigt mich auch nicht. Welches Ausmaß hat dieses Ding und wo kommt es her? Ich fange an zu starren, durch die Leute hindurch. Die ersten rufen ihre Familien an. Connie spricht aus, was alle denken: „Wir können nichts tun“. Es gibt keinen Keller, es gibt keine Bunker. Wir sitzen im Dschungel und wissen, da kommt was auf uns zu – irgendwann und irgendwie. Und dann werde ich traurig und denke mir, dass ich gerne auch gelaufen wäre, anstatt nun unfähig an der Aidstation zu stehen. Solange bis plötzlich jemand anmerkt, es gäbe in der Nähe ein schönes Gewässer, ob wir es noch schaffen dort hinzurennen? Ich lache einfach mit, denn ich kann es sowieso nicht begreifen, denn ist so unglaublich irreal.
Das Rennen wird nicht gestoppt und wir machen alle weiter mit werkeln und kochen und Witze erzählen. Etwa 40 Minuten später schreit jemand: „It was a mistake, it was a mistake!“ Wieder muss ich nachfragen und kann es genau so wenig glauben, wie der Irrtum, uns würde gleich eine nukleare Rakete wegsprengen. Was das bedeutet weiß sowieso keiner. Allenfalls blickte man nun aber in erleichterte Gesichter und es geht wieder merklich entspannter weiter.
Loop 1 (ca 32km)
Nach knapp unter 4 Stunden kommen die ersten drei Läufer durch die Aidstation des Nature Centers gerannt. Man kümmert sich sofort um das Auffüllen der Getränke und gibt eine kurze Zusammenfassung des Buffets, packt Lebensmittel in Ziplocks – nur kauen muss man selbst. Es ist anders als in Deutschland, wo man sich an den meisten VPs einfach nur selbst der Nächste ist.
Langsam werde ich nervös, packe meinen Laufrucksack und ziehe mir mein Helfer-Shirt wieder über den Kopf. Ich bin gespannt auf Georgs Bericht, denn ich habe schon jetzt einen heiden Respekt vor dem Kurs. Ich muss an -Island- denken und an meine dortige Todesangst, denn ich will nicht wieder in solch eine Situation kommen. Gleichzeitig ist meine Neugier so groß und meine Beine sind so hibbelig, dass ich weiß, ich würde das Abenteuer so oder so wagen. Und dann kommt auch schon Georg um die Ecke (-click-). Während ich versuchte ihn wegen der Strecke zu löchern, fülle ich sein Wasser und Energiespeicher wieder auf. Der Kurs sei heftig, steil, glitschig und er wüsste nicht, wie er das noch vier Mal überleben sollte. Ich fange an zu zweifeln.
„Soll ich das wirklich machen?“
„Ja, aber pass auf.“
„Bist du dir sicher?“
„Ja, aber ich bin auf dem Hosenboden runtergerutscht.“
„Ok!“

Zack ist er wieder weg. Eine halbe Stunde später pausiere ich meinen Volunteer-Dienst, inhaliere einen Muffin, schultere meinen Rucksack, der schon jetzt wie ein feuchtes Wärmekissen auf mir liegt und laufe voller Energie zum Eingang des Regenwalds. Wo heute Morgen noch ein schwarzes Loch war, tut sich jetzt die grüne Hölle auf. Vögel tschilpen, ich biege um die Kurve und lasse die kleine Zivilisation hinter mir. Die Fauna schluckt mich und ich hüpfe alleine Wurzel für Wurzel nach oben. Alleine und schon jetzt ausgesprochen glücklich. Jede Kurve ist irgendwie aufregend und jedes Geräusch exotisch. 500 Meter später stoße ich auf andere Läuferinnen und vor mir eröffnet sich der richtige Anstieg: Wurzeln höher als Treppenstufen, jeder Schritt raubt Energie und es ist unmöglich, den Blick nicht auf den Boden gerichtet zu haben.

Dennoch schraube ich mich ziemlich flott die 300 Höhenmeter (auf einen Kilometer) hinauf, grüße, überhole und verliere gefühlt die ersten zehn Liter Wasser. Die Hitze kriecht vom staubtrockenen Boden bis zu meinem Kopf, mein Atem ist angestrengt und die Sonne brät mich sogar durch die Bäume. Für mich ist es unerträglich heiß und ich habe plötzlich so eine Ahnung, dass ich es mit 1,5 Liter Wasser wahrscheinlich noch nicht einmal zum Paradise Park schaffe – eine VP, die nur etwa 12 Kilometer entfernt ist. Wider erwarten bin ich nach diesem Anstieg geheilt: mein Atem geht ruhiger und die Temperaturen fühlen sich nur noch nach 35 Grad an, anstatt nach 50. Was aber vor allem daran liegt, dass die Strecke nun wieder mehr durch das Gestrüpp verläuft. Dafür gibt es mehr Luftfeuchtigkeit und ergo ziemlich nasse Böden, sprich Wurzeln und Steine.

Ich bleibe an einer Kreuzung stehen und kapiere die Farbmarkierungen noch nicht so ganz. Es gibt eigentlich nur orangefarbene, grüne, weiße und blaue Bänder. Letztere markieren lediglich den falschen Trail und sollen nicht gelaufen werden. Was nun aber die Kombination aus orange und weiß darstellen soll, ist mir ein kleines Rätsel. Orange und weiß führen nach unten, nur orange führt nach oben. Während ich so dastehe und überlege, überholen mich zwei Läufer. Sie nehmen den orange-weißen Trail und ich laufe einfach hinterher.

Nach nur wenigen Metern höre ich wieder Wasser rauschen und plätschern und es geht via Serpentinen downhill über seifige, wurzlige Erdpassagen runter. In beinahe jeder engen Kurve treffe ich auf Blockaden aus großen und noch größeren Steinen, die es zu übersteigen gilt oder ich klettere Steine nach unten, stehe im querenden Wasser und steige einen halben Meter später wieder hoch, ehe es kurz wieder laufbar wird. Der Singletrail ist schmal, sehr schmal und links neben mir geht es einen Hang hinunter. Stürzen wäre extrem blöd, aber ebenso einfach, denn die Erde schmiert gut und schnell hat mal ein Fuß den Pfad verlassen, weil man einen Stein zu spät gesehen hat.

Plötzlich komme ich richtig ins rennen, denn der technische Downhill hat mich ausgespuckt und ich fliege durch den Dschungel. Es erscheint alles doch nur halb so schlimm. Dumm nur, dass das die gefühlten 3 von 5 Prozent waren, die sich so flüssig laufen lassen.
Das alles ist mir da aber noch nicht bewusst, ich laufe endorphingesteuert weiter und weiter und stehe plötzlich nach knapp über 4 Kilometern, wieder vor dem Nature Center. Vollständig verwirrt, musste ich mir das mit den Bändern nochmal erklären lassen: Orange, weiß und dann grün. Über alles dazwischen kommt man bloß zurück.
Ganz großartig. Ich fülle Wasser nach und stapfe wieder in den Dschungel, bis ich mir gewahr werde, dass der Monsteranstieg von vor einer Stunde erneut der meine ist. Gut, die Starter müssen den fünf Mal hinter sich bringen. Ein wenig frustriert bin ich schon, wollte ich doch die Strecke auskundschaften und nicht gleich am Anfang extra Kilometer sammeln. Also freue ich mich einfach auf alle noch unbekannten Trails und entscheide mich an der Kreuzung diesmal für den Trail der nach oben führt (eigentlich ja nur logisch). Ich schaue auf meine Uhr, die mir mindestens 600 Höhenmeter auf knapp 7 Kilometer anzeigt (inklusive Downhill!) und frage mich was da nun eigentlich noch kommt.
Was kommt sind endlose Serpentinen mit teilweiser endloser Sonnenbestrahlung. Ich reiße mich zusammen und falle nur in jedes zweite Gewässer, was sich mir unterwegs bietet. Als ich plötzlich nach etwa gesamt 9 Kilometern, oben an einer Straße herauskomme, bin ich zunächst wieder leicht irritiert, sehe dann aber in naher Entfernung einen Berg Kokosnüsse – hier bin ich richtig! Mit schon leicht flauem Magen und etwas dehydriert, falle ich fast Michael Arnstein (-The Fruitarian-) um den Hals, der mir lachend eine Kokosnuss präpariert. Dieses Jahr verpflegt er alle Läufer mit Kokosnüssen und im nächsten wird er wohl wieder selbst am Start des HURT stehen.Wie ein Vampir sauge ich wandernd das prickelnde Wasser der Kokosnuss aus und werde sie auf dem Trail wieder los. Hawaiianisches Recycling nennt man das glaube ich, oder so.
Ich fahre mir noch eine Energy-Waffel ein und bin wieder ganz da, bereit für die Manoa Falls. Bis es soweit ist, trennen mich noch einige sehr technische Kilometer vom Spektakel. Über nasse Wurzeln und Bretter geht es beinahe eben durch die Wälder. Ich passiere alle paar Minuten Läufer. Anstatt „Allez, allez!“ hört man hier pausenlos nur „Good job!“, denn Geschwindigkeit kann man hier nicht aufbauen. Jeder leidet irgendwie auf seine Weise und weiß um die Härte dieses Ultras.

Ich laufe ein bisschen mit jemanden mit und muss mich recht bald erklären, wieso ich nur Support mache und nicht selbst gestartet bin, als mir plötzlich Georg entgegen kommt. Nasser als nass, mit einem roten Auge und einem gequälten Ausdruck im Gesicht. Ich lache und zeige als Antwort auf die Frage in seine Richtung: „Because of him!“
Als wir uns begegnen und kurz stehen bleiben, bekomme ich sofort die Heftigkeit des Trails, den Georg gerade hinter sich hat und mir noch bevorsteht, aufs Brot geschmiert. „Das wird noch ganz, ganz…ganz übel!“ Ich schlucke, wir verabschieden uns, ich laufe weiter. Es wird glitschiger, aber im Bereich von Todesangst, bin ich noch lange nicht. Dann hole ich ein paar weitere Läuferinnen ein und laufe einige Zeit mit einer von ihnen weiter, die mich recht bald vor dem Downhill warnt. Womit wir auch beim Titel sind, den ich mir echt gut überlegt habe so zu nennen: „Aloha motherfucker!“ Aber genau das ist es, was beschreibt, was alle erlebt haben.
Kurze Zeit später rutsche ich von Wurzel zu Wurzel oder lande im dicken Matsch, klettere Felssteine hinab und auch wieder hinauf. Es ist so steil, dass ich mit den Händen greifen muss und mir das ein oder andere Mal das Knie anhaue.
Es ist anstrengend und der Pfad ist niemals gerade. Meine Schuhe sind keine gute Wahl, wie auch schon in Salzburg, habe ich auf nassem Stein und auch auf den großen Wurzeln, einfach keinen Halt. Ich mache mir jedoch keinen Druck, nehme es locker und freue mich, dass ich bin wo ich bin.

Eine Kurve später stehe ich wie angewurzelt (Achtung böses Wortspiel) vor einem sich in sich windenden Wurzeltrail, der sich echt gewaschen hatte. Nicht nur, dass ich sowas noch niemals gesehen habe, ich habe auch keine Ahnung wo ich idealerweise meine Füße platzieren soll.

Nach einer kleinen Ewigkeit, nehme ich beinahe Wurzelfrei, erst so richtig den schönen Bambuswald wahr, der mich umgibt und auf einmal kann ich den Wasserfall hören. Es ist also nicht mehr weit.
Über einen letzten üblen Downhill geht es auf direkten Weg zu den Manoa Falls. Ich stehe auf der kleinen Kreuzung und blicke links von mir auf den Wasserfall. Die Markierungen verlaufen jedoch rechts, sodass ich der Versuchung gerade so widerstehe mit allen Klamotten am Wasserfall zu duschen.
Der letzte Downhill auf dem Weg zum Paradise Park ist im Vergleich ganz gut laufbar, jedoch extrem schmierig. Ich muss mich konzentrieren, kann aber die meiste Zeit im Laufschritt bleiben, ehe ich endlich an der Pirates Aidstation einfalle und zunächst erklären muss, dass es keine Nummer zu notieren gibt und ich momentan auch noch niemanden pace (da zu dem Zeitpunkt noch nicht erlaubt). Schnell fülle ich eiskaltes Wasser in meine Softflasks und laufe durch einen Bogen, geschmückt mit bunten Lichterketten, heraus aus der Piratenhöhle.

Auf dem gleichen Weg geht es wieder zurück. Uphills werden zu Downhills und Downhills zu Uphills. Umgekehrte Härte und nicht wirklich einfacher. Ich spüre die ersten Blasen an den Füßen. Alles ist nass, ich klebe. Von meinem Kopf rinnt ununterbrochen der Schweiß in die Augen und über die Wangen, sammelt sich am Kinn und bewässert stetig Oberteil und Rucksack.

Plötzlich begegne ich Chris und wenig später auch Donielle, die sich freut mich zu sehen. Sie sieht noch ganz gut aus. Ich schaue auf die Uhr und versuche zu errechnen, ob ich es noch ohne Stirnlampe zurück zum Nature Center schaffe. Ich bin mir nicht ganz sicher und lasse mir deswegen weniger Zeit als in der ersten Hälfte. Kurz vorm Schluss begegne ich noch einmal Georg, mit Candice im Schlepptau.
Als ich die orange-weißen Bänder wieder sehe, wird auf einmal ein Schuh aus dem Kurs. Jetzt weiß ich wie man wohin läuft. Als ich am Ausgangspunkt ankomme, sind meine Beine immer noch relativ frisch, obwohl ich knapp 1500 Höhenmeter und 30 Kilometer hinter mir habe (-Strava-Activity-)
Eigentlich freue ich mich am meisten darauf eine Cola hinunterzukippen und zu duschen. Ersteres setze ich sofort in die Tat um, aber eine Dusche gibt es nicht. Ich habe die Wahl zwischen drei Dixi-Klos und einem großen „Raum“ mit nur einer Toilette und einem verlorenen Waschbecken. Die Sonne geht langsam unter und ich muss handeln, denn ich weiß wie kalt es wird. Optimistisch schnappe ich mir Handtuch, Duschgel und Shampoo und trete in die Kabine. Auge in Auge mit dem Waschbecken. Zumindest gibt es fließend Wasser. Nun kann ich behaupten, das erste und wahrscheinlich letzte Mal, mittels Waschbecken „geduscht“ zu haben. Es hatte aber eher was von Elefant im Planschbecken.
Ich plausche noch ein bisschen und verziehe mich dann mit meiner Isomatte und Nudeln in einen Gang und versuche zu schlafen. Zumindest solange bis mir Benita freundlich zu Hilfe kommt und mir das Zelt unterhalb der Aidstation zeigt. Ich bin dankbar endlich ein bisschen Ruhe zu bekommen. Aber selbst von dort höre ich die Musik und die lauten Schreie, wenn einer der die Aidstation betrat und verließ derart motiviert wurde. Kontinuierlich zirpen die Grillen und das Gackern der Hühner lässt mich dann doch irgendwann leicht wegdämmern. Nach einiger Zeit friere ich trotz zwei Shirts, Jacke und Decke ziemlich bitterlich auf meiner Pritsche.
Nach 22 Uhr schlurfe ich völlig fertig wieder zurück und bereite alles für Georgs letzte Ankunft vor. Der Tag beginnt sich zu ziehen, die Kälte nagt an mir, eine Blase am Fuß zwingt mich zum Humpeln, mein Körper möchte eigentlich schlafen und ich frage mich, ob es nicht einfacher gewesen wäre, einfach selbst zu starten.

Dann kommen Donielle und Chris. Ich setze mich neben sie. Donielle weint. Sie will nicht mehr. Benita schickte sie aber wieder mit einem Ziploc warmen Reis wieder auf den Trail. Wenig später haben sie dann aber tatsächlich aufgegeben.
Etwa eine Stunde später empfange ich Georg, er wirkt optimistischer, jammert aber noch ein bisschen vor sich hin und hat die Stöcke ausgepackt. Ich schnorre Blasenpflaster, wir reden, er pflügt nebenbei durchs Buffet, wechselt die Schuhe. Ich humpele noch mit ihm in FlipFlops ein Stück zurück in den Dschungel und schon ist er wieder weg. Ich humpele wieder zurück und lege mich wortlos ins Zelt. Ich bin tot, wie ich sechs Stunden später Pacer spielen soll, erschließt sich mir zu diesem Zeitpunkt nicht. Ich schwitze und friere gleichzeitig. Die Luftfeuchtigkeit macht mich fertig.
Einige Zeit später stehe ich wieder auf. Ich will die Trails hier nutzen und zudem habe ich ja etwas versprochen. Also ziehe ich mich halb um und informiere mich immer mal wieder, wann Georg die letzte Aidstation passiert hat. Es ist dunkel, es ist noch immer kalt und ich kann mir kaum mehr vorstellen, diesmal selbst in das schwarze Loch zu laufen. Ich schlendere über das Gelände, komme zurück und sehe Georg vor mir stehen. Er musste natürlich genau dann kommen, wenn ich mich erdreistete mal kurz nicht direkt vor Ort zu sein. Mist, aber es war nicht zu ändern. So schnell habe ich noch nie meine Trailschuhe angezogen und mir die Stirnlampe an den Kopf geschnallt.
Gemeinsam tasten wir uns den Monsterberg über die Wurzeln nach oben. Langsam kommt wieder Leben in mich, das Gefühl drei Tage wach zu sein, legt sich. Es wird zunehmend heller und nach knapp einer Stunde packen wir die Lampen weg. Wir biegen nach den kurzen glitschigen Downhills wieder in die Serpentinen ein und werden immer schneller. Ich frage mich wo er die Kraft her nimmt, denn ich beginne zu schnaufen und muss mich bemühen dran zu bleiben. Wir lachen darüber. Sieht mir stark nach Fokus aus. Ich gewöhne mich jedoch schnell an das Tempo und laufe wieder vorne. Wir sammeln einen Läufer nach dem anderen ein, die oft einfach nur noch anerkennend nickten.
Nach knapp 10 Kilometern trennen wir uns und ich laufe durch das Gatter der orangenen Route. Eine Minute später höre ich das Gatter oben erneut knallen. Irgendjemand ist da hinter mir, ich lasse mich aber nicht überholen, wäre doch gelacht. Rennen, springen, klettern, rennen. Die Strecke war fantastisch und wunderschön. Achja und heiß und schwül natürlich auch.
Ich laufe noch auf zwei, drei Läufer auf, überhole und einer wimmert:
„Sarah?“ Ich reagiere nicht gleich.
„Sarah..?“
„Sorry, I’m not Sarah, I’m Jamie“
„Oh..you looked like Sarah in the first moment.“
„If you want me by your side, I bring you to the Nature Center.“
Ich denke noch, er wird sicher nein sagen. Andererseits hatte ich ihn gerade im Downhill überholt. Sein Gesicht wechselt von leichenblass zu kellerbraun und seine Augen leuchten: „You want to pace me?“
„Yes, for sure! What’s your name?“
„Cesare.“

Damit ist es besiegelt, vielleicht sind wir jetzt Downhill-Partner oder so. Denn so schnell war ich noch keine technischen Downhills runtergekommen. Wir laufen los, ich vorne weg, er brav hinter mir: „I like your technique!“
Meine Lauftechnik oder meine Technik ihn zu pacen? Ich weiß es nicht und renne einfach weiter, schaue rücksichtsvoll nach hinten, warte auf ihn und gehe konsequent alle Anstiege. Und plötzlich bin ich in meinem Element. Im Downhill. Ich hatte Spaß und was für einen und das habe ich Cesare zu verdanken.

Gemeinsam liefen wir ins Ziel, die Leute fragen uns, ob dies sein Finish wäre, aber er hat ja noch einen Loop vor sich. Später schrieb er mir folgendes:

Es war kurz nach 9h und ich wusste in 3-4 Stunden würde ich Georg noch einmal entgegen laufen, um ihn ins Finish zu bringen. Nach diesem Lauf dusche ich nicht mehr und versuche alles so auszuhalten. Ich esse etwas. Setze mich auf einen Stuhl, friere plötzlich und ziehe eine Jacke an und dämmere immer wieder weg. Donielle und Chris schnappen sich eine Decke und schlafen in der Sonne. Auch gut.
Um 12 werde ich plötzlich hibbelig und laufe früher als geplant los, um Georg abzufangen. Meine Intuition hat mich nicht getäuscht, denn ich hike ganz entspannt die Trails hinauf, mache viele toller Bilder und erfreue mich an der Natur. Aber seht selbst!


Meine Vorahnung ist richtig, schon bald sehe ich Georg wie er den Downhill herunterhüpft, den ich gerade hinauf steige.

Er freut sich, ich freue mich, gemeinsam laufen wir dem Ziel entgegen. Er hält immer wieder inne, er will es genießen die letzten Meter. Ich kann das verstehen und entferne mich ein bisschen.


In letzter Sekunde aktiviere ich Videomodus im zügigen Laufen und halte fest wie er die Glocke läutet und fast vergessen hätte, das heilige Schild zu küssen (was niemals sauber gemacht wurde). Alle weiteren Bilder sprechen für sich:



Ich bin ebenfalls froh das es vorbei ist. Wir umarmen uns, stinken wie Iltise. Alle bedanken sich bei mir und Georg. Aber alles was mir jetzt am meisten bedeutet ist eine ordentliche Dusche. Über 40 Stunden wach, 2-3 Läufe mit etwa 50km und über 2000 Höhenmetern, müssen da erstmal runter. Wie Georg sich fühlt, wage ich nur ansatzweise zu verstehen. Wir wanken zum Auto, genießen die Klimaanlage, humpeln ins Haus, duschen… und hach!
The day after…

Mahalo!
— Jamie
Auf diesen Bericht habe ich gewartet!
Wahnsinn, was ihr da erlebt, gesehen und vor allem geleistet habt! Ich ziehe absolut meinen Hut vor euch! So ein, wahrscheinlich einmaliges, Erlebnis wird man wohl nie vergessen und noch sehr lange davon zehren. Gerade bei zähen Trainingsläufen rufe ich mir manches, aber bei weitem nicht so extremen, wieder zu Tage und muss lächeln!
Nochmals WOW!
Danke für deinen lieben Kommentar! Das war in der Tat ein Abenteuer, von dem ich noch lange zehren werde, sowohl trainingstechnisch, als auch vom echt einmaligen Erlebnis her. Urlaub machen ist eine Sache, laufend Urlaub machen, nochmal eine (viel tollere) andere 🙂
Liebe Jamie,
vielen Dank für den tollen Bericht von einem wirklich atemraubenden Abenteuer. Ich werde den Post nochmals lesen müssen…
Salut
Lieber Christian,
dann habe ich Sinn und Zweck dieses Beitrags wohl voll erfüllt 😉 Es war der helle Wahnsinn und ich bin dankbar, dass ich laufen kann und das erleben durfte. Wow, ein zweiter Lesedurchgang – vielen Dank!
LG,
Jamie