Letztes Jahr sagte ich mir noch, „Das machst du nicht nochmal“ und dieses Jahr dann so: „Ach, ich bin ja noch gar nicht angemeldet!“ Es gibt Dinge die sind nicht sonderlich aufregend oder gar schön und dazu zählt für mich definitiv Rodgau. Gut für den Kopf und eventuell auch für die Tempohärte sind diese 10x 5km Runden auf jeden Fall. Also war es mehr eine Vernunftentscheidung und ein guter Einstieg ins (Ultra)-Jahr 2018. Zudem ist dieser Wettkampf wahrscheinlich einer der wenigen Ultras, die sich ohne Rucksack laufen lassen, denn auf fünf Kilometern, kann Dank VP nicht wirklich viel passieren.
Frisch war es mal wieder geworden, aber dennoch nicht ganz so klirrend kalt wie das Jahr zuvor. Ich trat mit gemischten Gefühlen an den Start, denn der hawaiianische Jetlag hatte mich ganz schön gebeutelt: Migräne bis zum vorletzten Tag, Kreislauf, eine unglaubliche Müdigkeit und einen Hasenpuls. Nur um mich irgendwie zu bewegen, bin ich auf meiner 7km Hausrunde herumgestolpert und eigentlich gefühlt weit entfernt davon, 50 Kilometer zu laufen. Glücklicherweise hatte ich am Freitagnachmittag wieder ein kleines Hoch, welches mich dazu veranlasste, den Start nicht verstreichen zu lassen.
Rebecca und Tim boten sich mir als Supportteam an, was ich dankend annahm. Ich traf auch auf Miriam und Benjamin, die ich aber zunächst schnell wieder aus den Augen verlor. Im Startblock selbst, sah ich noch mehr bekannte Gesichter. Die Uhr schlug Zehn, aber heruntergezählt wurde irgendwie erst etwas später. Ich wollte los, mir war doch kalt! Gemeinsames Herunterzählen von 10 auf Null und ab die Post.
Mein Plan mit einem 5er Schnitt anzulaufen, pausierte auf dem ersten halben Kilometer etwas, ehe sich das Feld auseinanderzog und ich wieder Platz für meine Füße hatte. Meine laufende Begleitung verwickelte mich derart in Gespräche, dass ich überhaupt nicht mitbekam, wie wir Kilometer für Kilometer in 4:45 – 4:50 abspulten.
„Zu schnell.“
„Immer noch zu schnell!“
„Blabla.“
Erst ganz leicht abschüssig und bereits matschig, dann leicht ansteigend und ebenfalls matschig, erreichte man nach 0,8 Kilometer die VP. Kurz davor hatten wir Läufer die Möglichkeit unsere eigene Verpflegung zu deponieren. Eine Flasche Tailwind und 1,5 Haferriegel waren alles was ich mir zutraute zu mir zu nehmen.
Danach ging es gerade ins offene Feld, noch immer leicht ansteigend, nur weniger matschig. Der Nebel verhüllte die Sicht, die Luft war kalt und feucht. Dennoch eigentlich ideales Laufwetter. Einmal nach rechts abbiegen, über Schlaglöcher hüpfen und im Wald verschwinden. Sich dabei noch mehr einsauen, die Schuhe bald unkenntlich, die Laufhose bis zum Hintern mit Schlamm vollgespritzt. Eigentlich ganz so, wie sich das für einen Ultra gehört, aber nichts was ich von so einer 5km Runde erwarten würde.

Wir liefen zunächst dicht an einer Gruppe hinter Lisa Mehl und ich fragte mich zwischenzeitlich, wie gut diese Idee tatsächlich war. Vor allem, als es nach dem Wendepunkt erneut ins Feld ging, zeigte die Uhr fast wie von selbst immer wieder Dinge unter 4:30 an und es fiel mir sehr schwer mich zu bremsen, da ich mich wider erwarten so richtig gut fühlte und es einfach nur Spaß machte, die Beine ihr Ding machen zu lassen. Ich spürte weder den schlammigen Untergrund im Wald, noch den „Arschlochberg“ des letzten Jahres, auf dem letzten Kilometer, ehe es wieder über die Matten der Zeitmessung ging. Wie ein Uhrwerk liefen wir weiter – Piep: 24 Minuten irgendwas und repeat. Gabi’s Moderations-Stimme schallte vom Wohnmobil zu mir herüber: „Und da ist die Jamie…und wo ist Georg!?“ „Krank!“
Auch Markus war vertreten – diesmal jedoch unter den Zuschauern. Katrin stand wohl auch irgendwo, ich war wohl so im Tunnel, dass ich sie gar nicht gesehen hatte – dennoch hat sie mir zwei Bilder zugespielt 😉

Nach 15 Kilometern trank ich zwei Becher Tee innerhalb weniger Sekunden und brauchte erstmal zwei Kilometer, ehe der Tee nicht mehr gefühlt im Magen herumschwappte. Nach 20 Kilometern, verlor ich meine Laufbegleitung aufgrund dessen Pinkelpause. Ich wollte mir den halben Haferriegel auf der nächsten Runde schnappen (was man halt so im Laufrucksack findet, was weg musste), fand ihn aber nicht sofort zwischen all den Tütchen, Fläschchen und Riegelchen der anderen Läufer. Etwas planlos rannte ich die Tische auf und ab und auch Tim suchte mit, ehe wir ihn endlich fanden. Ich bin zwar immer noch nicht so trainiert, was das Essen während dem Laufen anbelangt, aber diesmal hat es tatsächlich funktioniert, auch wenn ich an so einem halben Riegel gut und gerne drei Kilometer herumkauen kann.

Nach 25 Kilometern wurde mir postwendend schlecht. Noch nicht richtig übel, aber das was sich da in mir zusammen braute, verhieß nichts gutes. Nerven behalten, versuchen zu drosseln. Die Strecke zum Wendepunkt begann nun zu nerven und sich immer mehr hinzuziehen, zumal ich mich immer wieder dabei erwischte, wie ich sie einfach ausblendete und ständig davon überrascht war, dass es diesen Streckenteil ja auch noch gab.
Tim hielt meine Stimmung von euphorisch bis leidend bildlich fest und schaffte es dennoch mir meine Flasche anzureichen, ein Stück neben mir herzulaufen und sogar Salzstangen aufzutreiben. Ansonsten hätte ich noch länger stehenbleiben müssen, um die Flasche wieder an Ort und Stelle zu bringen.
Mit Salzstangen in der Hand und einem besorgten Blick auf meine geschwollenen Finger, erahnte ich bei Kilometer 30, dass das was ich da gerade betrieb, nicht mehr lange gut gehen würde. Ich verfluchte mich, dass ich den Drinkmix von Maurten nicht mitgenommen hatte, weil ich glaubte, „50km gehen immer“. Nur leider bedeutend schlechter, wenn einem immer übler wird, die Mineralien flöten gehen und man keine Energie mehr in den Körper bekommt.
Die Salzstangen lieferten mir leider doch nicht die Menge an Salz, die ich vielleicht gebraucht hätte. Vielmehr dörrten sie mich aus. Bei jedem Ausatmen kam ein Stoß von Staub-Krümeln hinterher. 1,5 Kilometer vor der 8. Runde hatte ich sie endlich allesamt intus. Mein persönlicher Energiesparmodus ließ mich nun nur noch eine 5:18 laufen. Noch 15 Kilometer. Aber wie?
Mir wurde so richtig übel und die Kreislaufprobleme der letzten Woche holten mich wieder ein. Tee half nicht mehr, noch nicht einmal Cola brachte mir den gewünschten Phönix-aus-der-Asche-Effekt, den ich sonst kannte. Mein Körper verweigerte jegliche Art der Energiezuführung und gab nur noch ab und ich fast auf.
Bei Kilometer 41 blieb ich an einen Baumstumpf gestützt, stehen. Darüber hinauslaufen war nun ein Ding der Unmöglichkeit. Dann tauchte plötzlich Miriam auf, die mir noch zurief und mich damit echt motivierte. Ich war ja an sich auch selbst schuld, ein derber Fall von leicht bis hart verzockt. Ich trank nur noch Tailwind, ging ein Stück und setzte dann wieder zum Laufen an.
Marathon nach 3:35h. Ich lief mittlerweile Schlangenlinien und hatte Schwierigkeiten, im Laufen zu bleiben. Der Wendepunkt gab mir den Rest. Die Lautsprecher danach waren so laut eingestellt, dass mir allein durch die Musik noch übler wurde, als ich direkt daran vorbei lief. Ich war kurz davor es einfach gut sein zu lassen. Aber was soll man nach 2,5 Kilometern machen, als einfach die restlichen 2,5 Kilometer in die letzte Runde zu laufen?
Es war wohl das erste Mal in meinem Leben, dass ich gefühlt alle 100 Meter gehen und oft sogar stehen bleiben musste. Nicht, dass ich das gewollt hätte, weil es vielleicht angenehmer gewesen wäre. Ultras sind einfach nicht angenehm, zumindest nicht die ganze Zeit über. Es ging einfach nicht mehr anders. Ich wollte mich übergeben, konnte aber nicht und nutzte die Stopps lediglich zum Sammeln dessen, was noch verfügbar war – und Freunde, das war leider nicht mehr viel.

Das was ich da hatte, nennt man glaube ich einen klassischen Einbruch. Ich sagte mir währenddessen, dass das die Erfahrung sein würde, die mich letzten Endes stark macht und ich das jetzt zu Ende laufen würde, egal wie und wenn ich ins Ziel wandere. Gedacht und mir dabei fast einen abgebrochen. In der letzten Runde sind und sollten die Endorphine eigentlich soweit wieder angelaufen sein, dass man kurz seinen Weltschmerz vergisst und nochmal Gas gibt. Tja, was soll ich sagen, das Gegenteil war der Fall. Die Beine waren den Umständen entsprechend fit, aber der Magen und Kreislauf hatten die Grätsche gemacht und ließen mein rationales Denken beinahe entgleisen. Laufen, gehen, stehen, gehen, stehen, laufen. So schafft man es dann auch in 32 Minuten auf 5 Kilometern ins Ziel. Zum Glück auf den letzten hundert Metern von Tim begleitet. „Habe ich schon erwähnt, dass ich Laufen hasse?“
4:10 Stunden hatte ich angepeilt und 4:26 Stunden bekommen. Über die Zeit sollte ich mich eigentlich weniger beschweren (da 12 Minuten schneller als letztes Jahr). Ich beschwere mich lediglich (bei mir selbst) über die Art und Weise, wie diese Zeit zustande kam. Ich dachte, ich wäre vernünftig geworden, da ich selbst beim letzten Halbmarathon Selbstbeherrschung an den Tag legen konnte. Aber warum sollte man das dann bitte bei 50 Kilometern auch tun? Ist doch Kindergarten!

Die zweite Frage ist, warum ich nicht einfach Marathon laufe, da kann ich wenigstens nach 42 Kilometern guten Gewissens aussteigen.
— Jamie
Hey Jamie, diese Urkunden mit den Zeitbalken sind schon sehr demoralisierend.
Was mich wundert ist, daß du auf Grund deiner anderen Läufe und Trainings im Taunus,den „Anstieg“ am Beginnn sowie den „Schweineberg“ bei km4 überhaupt wahrnimmst. 80Hm insgesamt sagte meine Garmin.
Nächstes Jahr zum 20. wird alles viel besser laufen.
Hu Zie
Nicht nur, das – sie bestätigen mir ja auch noch, dass mein Vorgehen nicht das Geschickteste war 😀 Den leichten Anstieg am Anfang und Ende habe ich nur wahrgenommen, weil ich es noch vom letzten Jahr her kannte. Aber spätestens bei Runde 7 spüre auch ich diesen dann immer deutlicher. Bei mir waren es 130 HM, die eigentlich bei etwa 20km auf meiner Hausrunde zustande kommen und um ein Vielfaches weniger in Erinnerung bleiben, als das in Rodgau der Fall war..
Ob ich nächstes Jahr wieder am Start stehe, weiß ich noch nicht, aber wahrscheinlich wird es wieder ein notwendiges Übel, dem ich mich dann doch gern stelle 😉
LG,
Jamie
Einbruch? So oder so starke Leistung! 🙂
Du siehst noch viel zu normal aus auf den Fotos… Das ist nichts gegen dein KUT-Finisher-Face 😀 😀 😀
Ja, Einbruch!
Danke dir 🙂 Aber sei froh, dass du nicht in meiner Haut gesteckt hast. Es fühlt sich schlimmer an, als es aussieht, zumal die meisten Bilder bis Kilometer 30 zustande kamen. Ich denke bei 45 wollte mich dann auch keiner mehr sehen. Aber hast recht, den ersten K-UT schlägt so schnell nichts.
Solche Einbrüche sind echt doof, aber passieren und gehören irgendwie zum Läuferleben dazu. Stark ist es dann nur sich, wie du, da durchzukämpfen und eben doch zu finishen!
Richtig und tief im Inneren habe ich schon nach 15km so ein dumpfes Gefühl gehabt, dass ich gerade dabei bin, alles zu verzocken. Gibt halt Erfahrungen die ich machen muss, weil ich mich manchmal nicht so gerne nur auf die Theorie verlasse, wenn es sich doch trotzdem so toll anfühlt 😉
Lieben Dank, das war nämlich zum Ende hin echt ein harter Brocken.