Neues Jahr, neuer Versuch! Nachdem ich in 2016 erstmals nach 3-monatiger Trail-Karriere beim Feldberglauf gestartet bin, brauchte ich für 2017 unbedingt ein paar Vergleichswerte. Es liegt ja nun nicht nur ein Jahr dazwischen, sondern auch mein Training hat sich verändert: lag mein Fokus 2016 nur noch auf Umfang und nochmals Umfang, so kann man jetzt tatsächlich einmal von Struktur sprechen. Umfänge runter und Tempo bitte!
Dennoch hatte ich keinerlei Ahnung mit welcher Zielzeit ich würde rechnen können. Mein gesunder Menschenverstand sagte mir, dass 55 Minuten auf jeden Fall drin sein können. Und allein diese Zeit zeigt schon an, dass es diesmal kein Ultra sein würde, den man sich relativ entspannt einteilen könnte: 9,7km mit 585 Höhenmetern. Das bedeutete eigentlich nur eins: Nah am Limit laufen. Aber was, wenn man gar nicht weiß wo dieses Limit überhaupt sein soll?
Dann fängt man an leicht nervös zu werden. Ich zumindest. Zum Glück entschied sich Marisa auch noch für den Lauf, sodass sie sich noch kurz vor dem Start nachmelden konnte. Uns begrüßte feinster Sonnenschein, sowie Ruth & Sören (zu finden auf instagram unter –ruth.runs– und –taunus.runner-) und auch –Fabian S.– im Schlepptau mit Jens. Später tauchte dann auch noch Janosch auf. Gefühlt liefen wir uns fast noch bis zur Saalburg warm, bauten ein paar Steigerungen ein. Ich fing schon an leichten Steigungen an, mehr zu atmen als ich das vorgesehen hatte. Das Adrenalin ließ uns aber auch einfach schneller laufen…

Zurück am Startbanner konnte ich mir die verbleibende Zeit mit sinnbefreiten, gemütserheiternden Gequatsche mit Fabian und Jens vertreiben, während Marisa noch immer nervös auf und ab hüpfte und um uns herumsprang. Ich äußerte den Wunsch bei den beiden zu bleiben und mich ziehen – bzw. durch beleidigendes Gebrülle nach oben peitschen zu lassen 😀

Und da war er dann auch schon der Start – Marisa und ich standen sehr weit vorne und es kam mir mal wieder so vor wie auf einer Galopprennbahn. Jeder gespannt wie eine Stahlfeder, den Finger am Startknopf der Uhr, ein Bein nach vorne und kein Zurück mehr. Alles was ich hörte war das Zurückzählen von 10 auf 1, aus den Augenwinkeln sah ich Aaron alleine vorne wegrasen und spürte diesen unglaublichen Kick der mich die ersten knapp 100 Höhenmeter quasi im Sprint nehmen ließ, meine Beine bewegten sich von selbst, denn ich spürte nichts. Noch nichts. Ein Fehler, ein Fehler..

Ich hatte all das kommen sehen, aber klemmte mich dennoch dicht hinter Marisa die einfach Gas gab. Auf den letzten 200 Metern kurz vor der Emminghaushütte überholte ich sie und sah Jens wieder vor mir auftauchen. Ich war stark dafür, dass er derjenige sein sollte, an dessen Fersen ich mich heften wollte. Das Tempo war für mich recht hoch, aber machbar. Das es wehtun würde und zwar nicht nur mir, war ja von vornherein klar gewesen. Wenn man jedoch in dieser Situation erstmal gefangen ist, sieht die Sache phasenweise leicht anders aus. Erster Kilometer unter einer 5er Pace. Im letzten Jahr hatte ich mit 5:40 schon chronische Schnappatmung gehabt.

Es ging nach links, tiefer in den Wald und es wurde wieder flacher. Trotzdem musste ich hier schon Tempo herausnehmen, aber für den Moment mischte ich immer noch unter den ersten Frauen mit. Ich wusste, dass es bald eine Rechtskurve geben würde, ab der es anfing wieder eklig zu werden. Unter meinen Füßen erschien mit blauer Markierung der Kilometer 2 und mit ihm der Gedanke: scheiße ich will nicht mehr. Jetzt schon!?
Ich wusste einfach gar nichts – Taktiken im Flachen funktionieren meistens, Taktiken am Berg sind da schon schwieriger. Ich entschied mich dafür mein Tempo weiter beizubehalten und mich Kilometer um Kilometer weiterzuschieben. Sehr spannend ist dieser Lauf wirklich nicht – es geht über schottrige Waldautobahnen in großen Kurven einfach immer nach oben und allein deshalb sollte man mental schon gefestigt sein. Irgendjemand fragte mich unterwegs nach meiner Zielzeit – aber diese Frage konnte ich nicht beantworten. Nach weiteren 2 Kilometern wurde ich plötzlich von einem fliegengewichtigen Mädchen eingeholt und überholt. Sie schien immer schneller zu werden und ich hatte keine Chance an ihr dranzubleiben. Es zogen noch zwei weitere Frauen dicht an mich heran, wir überholten uns immer wieder gegenseitig und ich versuchte an der Frequenz des mich umgebenden Gekeuche irgendwie festzumachen wie fertig meine Konkurrenz schon war. Natürlich nicht der zuverlässigste Parameter. Alle schauten stur gerade aus. Klar, Wettkampf, bloß keine zusätzliche Energie verschwenden. Fokus und so. Meine Beine waren schon seit Kilometer 2 so weich wie Pudding, obwohl das Adrenalin schon längst verpulvert war, zwischen meinen Rippen klemmte immer mal wieder etwas zuviel Luft. Ich versuchte dort hineinzuatmen, mich zu entspannen, variierte immer mal wieder die Schrittlänge, um die Beine anders zu belasten… Aber am Ende ist es wie immer: alles nur der Kopf.
Mein persönlicher Checkpoint war das kurze Bergabstück vor dem Fuchstanz, etwa kurz nach Kilometer 6. Als dieses dann kam, konnte ich gerade so eine 4:20 laufen, weil meine Beine mich einfach nicht zu halten schienen. Es war unmöglich die beiden wieder zu erreichen, es sei denn ich hätte versucht an sie heranzusprinten, doch das traute ich mich nicht. Ich wusste, dass es nach dem „Downhill“ ziemlich schnell, ziemlich mies werden würde und hätte mich gerne abwärts etwas erholt, nahm das letzte Stück zwischen Fotografen und Fuchstanz aber als Anlauf und rannte mit Schwung den knapp letzten 300HM entgegen.
Ich zwang mich nicht mehr auf die Uhr zu sehen, denn natürlich konnte ich ab einer gewissen prozentualen Steigung keine 5:30 mehr halten, sodass sich der langsamste Kilometer auf 6:30 belief. Ab da spürte ich erstmals eine Art von Kotzgrenze, meine Blicke streiften unkontrolliert das Gebüsch und den parallel verlaufenden Trail daneben, für den ich in diesem Moment gemordet hätte. Immer kurz vor mir Jens, der von meiner Konkurrenz langsam aber sicher eingesogen wurde. Mit jedem Schritt wurde eine Stimme in meinem Kopf lauter: bleib stehen! Geh ein Stück! Du kannst ja dann sprinten und bist noch genauso schnell!
Was ein Glück kenne ich mich und meine inneren Verräter besser und blieb beim Laufen. 1,7km Schotter mit etwa drei großen Kurven. Zu flach zum Wandern, zu unspektakulär zum Sterben und zu steil zum Gasgeben. Erscheint nicht nur ewig, ist ewig. Und ich hatte keine Ahnung wie ich mich verhalten sollte. Die Beine gingen noch, aber ich musste mich sehr darauf konzentrieren kontrolliert zu atmen. Nur irgendwie hochkommen, so schnell wie möglich. Zählen von Kurve zu Kurve. „Wenn du die Straße siehst und hörst, dann..“ ..dann kommt natürlich der letzte und steilste Anstieg von etwa 700m der wenigstens das Wort Trail, inklusive Wurzeln und größeren losen und weniger losen Steinen, verdient.
Es tauchte noch einmal eine große Wandergruppe auf die uns entgegenkam, einen riesen Radau machte, mir entgegen krisch, dass vor mir gar nicht mal so viele wären und ich mal Gas geben sollte. Weiß ich selbst, war nur irgendwie nicht so möglich, wie ich das gerne gehabt hätte. Der zweite Schrei galt wohl Fabian, der etwa 40 Sekunden hinter mir gewesen sein muss und zusätzlich Marisa verbal nach oben drosch. Er hatte sich seines Shirts entledigt und somit alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das war alles was ich davon noch weiß, denn ansonsten befand ich mich im Uphill-Tunnel des Grauens und ertappte mich dabei, dass ich sogar immer wieder kurz die Augen schloss.

Ich rannte auf die Straße zu, überquerte diese mit zwei anderen Läufern, die so mega trainiert und professionell aussahen, dass ich sie vor meinem geistigen Auge schon den letzten Anstieg nach oben fliegen sah. Ich sah noch einmal auf meine Uhr und die Zeit zeigte ein paar Sekunden mehr als 50min. Ich würde es niemals schaffen, in 1-2min noch 600-700m den steilsten Anstieg des Rennens zu meistern. Trotzdem sagte ich mir, es ist alles egal, hochhüpfen so schnell es nur geht. Wobei schnell übertrieben gesagt ist, wenn man teilweise eine 7 auf der Uhr stehen sieht. Man kommt sich vor wie in einem Alptraum, man kommt einfach nicht vorwärts. Der fitte Kerl von unten tauchte plötzlich wieder vor mir auf und ich saugte mich langsam an ihn heran. Währendessen kam die 1. Frau (Simone Raatz) bereits mit einem Getränk wieder herunter gewandert. Ein kurzer Gedanke schoss mir in den Sinn: „Ich hoffe, dass sie gerade ganz genau weiß wie ich mich hier gerade quälen muss!“ Es gibt auf dieser sowieso schon steilen Passage drei Punkte die nochmal besonders in die Beine gehen und einem die letzten Körner rauben die man überhaupt noch besitzt. Kopf aus!
An dieser dritten kritischen Stelle konnte ich einen der fitten Turnschuhe noch auf den letzten Metern überholen, aber gefühlt tauchten die Zeitmessmatten einfach nicht auf, obwohl ich sie deutlich sehen konnte. Ich hatte das Gefühl meine Füße nicht mehr nach oben bringen zu können. Aber irgendwann ist jeder Lauf vorbei. Irgendwann hat man sich überwunden und ist drüber gelaufen, hat die Uhr gestoppt und sucht sich eine geeignete Stelle um kurz auf den Boden zu sinken.
54:37min. War das nun gut oder schlecht? Ich war unter den von mir ermittelten, realistischen 55 Minuten geblieben. Ich konnte mich um 7 Minuten verbessern. Das war gut. Also ging es mir gut. Marisa und Fabian sprangen eine halbe Minute später über die Matten. Alle leicht verpeilt, wir schauten ernst und lachten gleichzeitig. Zudem braucht Fabians Ego nun etwas mehr Zärtlichkeit, haben mir Vöglein gezwitschert 😀
Ich schnappte mir einen Becher mit Tee und ging unseren Beutel mit Wechselklamotten suchen. Ich wollte eigentlich auch noch die Schuhe wechseln, entschied mich dann aber doch dazu, die Strecke mit den Race V1500 von NB herunterzulaufen (die übrigens die allerbeste Wahl für diesen Lauf waren!). Beim Runterlaufen war Kreislaufparty angesagt, aber nach weiteren 9km in exakt der gleichen Pace wie beim WK kam ich dann auch wieder an der Hohemark an. Wir blödelten noch etwas herum, Marisa wurde zu einer Teilnahme eines Laufs der Rats Runners Serie überredet und dann schwankten wir zu den Ergebnislisten, die mich dann doch etwas aus den Socken gehauen haben: die Konkurrenz war im Vergleich zu 2016 viel größer geworden. Während mir meine Zielzeit im letzten Jahr noch eine gute AK Platzierung eingebracht hätte, reichte es nun gerade so für den 9. Gesamtplatz der Frauen und dem 5. Platz meiner AK.
Es bleibt zu erwähnen, dass die Siegerin der Frauen (Simone) diesen Lauf in 45:33 Minuten abfrühstückte, es ca. 70 Läuferinnen gab und Aaron Bienenfeld den Streckenrekord, mit seinen 40:31min, pulverisierte.
Und mir bleibt nur noch zu sagen, dass ich gespannt bin, inwieweit ich mich noch unter strukturiertem Training und mit kompetenten Trainer verbessern kann – denn das Jahr hat erst begonnen! In diesem Sinne: bis zum nächsten Feldberglauf 🙂
Den Lauf findet ihr auch auf –Strava-!
— Jamie
Puuhhh..hört sich anstregend an. Vor allem über eine doch so lange Distanz berghoch Vollgas zu geben. Da würde ich auch keine Zeilzeitabschätzung geben. Wichtig ist doch nur das du gekämpft hast und das beste an diesem Tag gegeben hast. Dann ist das Ergebnis auch zweitrangig.
Da hast du recht – ein Spaziergang ist anders 😉 Ich bin zumindest froh, dass ich mich letzten Endes doch so gut einschätzen konnte, auch wenn die Wunschzeit eine andere gewesen ist. Es ist auf jeden Fall eine (mentale) Herausforderung und ein guter Test, um zu prüfen wo man gerade steht. Und ich muss gestehen, dass es verdammt Spaß gemacht hat mal weiter vorne mitzulaufen 😀